Dem Tsunami knapp entkommen

In Chile übersteigt die Zahl der Tsunami-Opfer die der Erdbebentoten. Glück hatte ein 19-Jähriger aus Schwellbrunn. Er campierte nahe der Küste, als die Flutwelle hereinbrach.

Nadine Rechsteiner
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Hat das Beben in Chile miterlebt: Der Schwellbrunner Jörg Diethelm. (Bild: pd)

Hat das Beben in Chile miterlebt: Der Schwellbrunner Jörg Diethelm. (Bild: pd)

Die einmonatige Südamerika-Reise von Jörg Diethelm aus Schwellbrunn hätte in Chile beinahe ein böses Ende gefunden. Der 19-Jährige schlief in seinem Zelt auf einer Insel des chilenischen Juan-Fernandez-Archipels, zu dem auch die berühmte Robinson-Crusoe-Insel gehört, als am Samstagmorgen der Tsunami über die Insel schwappte. Doch der Maturand hatte Glück im Unglück: Er campierte drei Kilometer landeinwärts auf einem Zeltplatz und merkte nicht, dass Tod und Zerstörung die Insel heimsuchten.

Erst Stunden später, als er ins einzige Dörflein der Insel marschierte, begriff der Appenzeller, was passiert war: «Das halbe Dorf war zerstört, überall Trümmer, Chaos, Häuser standen im Wasser.» Ein kleiner Supermarkt, in dem er am Abend zuvor noch eingekauft hatte, war weg.

1000 Tote befürchtet

Laut den Behörden in Chile geht man inzwischen davon aus, dass durch den Tsunami mehr Menschen starben als durch das Beben der Stärke 8,8 selbst. Laut vorläufigen offiziellen Angaben kamen durch die Naturkatastrophe über 800 Menschen ums Leben.

Es wird aber befürchtet, dass die Zahl der Todesopfer auf 1000 steigen könnte. Angesichts der Schwere des Tsunamis entbrannte erneut eine Diskussion darüber, ob die Bevölkerung zu spät und zu wenig exakt gewarnt wurde. Tatsächlich wurde kurz nach dem Beben eine Tsunami-Warnung herausgegeben, die zuerst abgeschwächt, dann aufgehoben und schliesslich wieder aktiviert wurde. Währenddessen schwappten bereits drei riesige Flutwellen über die chilenische Küste. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet wollte aber vor den Medien keine Schuldzuweisungen machen.

Mit tränenerstickter Stimme sagte sie in einem Radiointerview: «Nach der Schlacht sind alle Generäle.»

Kind warnt mit Gong

Auch Jörg Diethelm wurde nicht vor einem Tsunami gewarnt. Nur ein Kind soll die Bewohner der Insel mit einem Gong gewarnt haben, berichtet er. Nach dem Beben half ihm eine chilenische Touristengruppe dabei, aus dem Katastrophengebiet wegzukommen. Nun ist er froh, bald wieder heimreisen zu können.

«Es war bedrückend», erzählt Diethelm, der momentan noch in Rancagua, 85 Kilometer südlich von Santiago zusammen mit zwei Kollegen auf seinen Rückflug in die Schweiz wartet. «Ich habe mit einem kleinen Mädchen geredet, das seinen Bruder verloren hat. Ihr Vater liegt verletzt im Spital, das Zuhause ist zerstört.»