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Ostschweiz
Der St. Galler Anwaltsverband beobachtet neue Werbeaktivitäten seiner Branche skeptisch. Präsident Michael Nonn über Rankings, seriöse und zweifelhafte Qualitätssiegel und darüber, wie der Laie den besten Anwalt für sich findet.
Anwälte sind von Berufs wegen zur Diskretion verpflichtet. Das gilt auch für die Eigenwerbung. Dennoch tauchen vermehrt Anwaltrankings oder Zertifikate auf, deren Aussagekraft zumindest zweifelhaft ist. Aufgefallen ist das auch dem Vorstand des St.Galler Anwaltsverbandes. Er ruft die Klienten auf, sich bei der Suche nach einem geeigneten Anwalt an anderen Kriterien zu orientieren.
Michael Nonn, Sie sind kein Spitzenanwalt.
Wir sehen uns heute zum ersten Mal. Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?
Auf Ihrem Schreibtisch steht kein Pokal. Die besten Anwälte pro Fachgebiet erhalten einen.
Dieses Phänomen stammt aus dem angelsächsischen Raum. Solche Pokale sind einfach zu haben. Sie müssen nur in gewissen Magazinen inserieren oder dort Platz für ein Porträt ihrer Kanzlei kaufen – und plötzlich steht der «Lawyer Monthly Legal Award 2018» da.
Auch die Zeitschrift «Bilanz» publiziert eine Rangliste der besten Anwälte. Sind da gute Plätze ebenfalls käuflich?
Jenes Ranking basiert auf Empfehlungen hauptsächlich durch andere Rechtsanwälte und Kanzleien. Wie viele Stimmen es braucht, um weit oben zu landen, ist nicht ganz klar. Die «Bilanz» legt das nicht offen. Tatsache aber ist, dass vor Erscheinen der Rangliste vor allem zwischen grossen Kanzleien ein reger Austausch stattfindet. Man schiebt sich mit gegenseitigen Empfehlungen in eine gute Position. Am Ende stehen dann nicht unbedingt die besten, sicher aber die grössten und bekanntesten Büros an der Spitze.
Klickst Du mich, so klick ich Dich?
Genau. Immerhin: Die Stimmen sind nicht gekauft. Wer aber nachher mit dem Siegel des «Bilanz»-Rankings auf seinem Briefpapier werben will, muss zahlen.
Gilt für Anwälte nicht ein Werbeverbot?
Nein. Gemäss den anwaltlichen Berufsregeln soll die Werbung aber objektiv bleiben und dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entsprechen. Daraus wird eine gewisse Zurückhaltung abgeleitet – die Werbung darf nicht schreierisch oder aggressiv daherkommen.
Inserate von Kanzleien gibt es kaum. Wie und wo werben Anwälte?
Wichtig ist die Selbstdeklaration, zum Beispiel in Anwaltsverzeichnissen oder im Internet. Kanzleien können aber auch dafür bezahlen, dass sie bei Suchanfragen im Internet möglichst weit oben aufscheinen.
Das wird gemacht?
Suchen Sie einmal auf Google nach St. Galler Anwälten. Es erscheint immer dasselbe Büro zuoberst. Inzwischen gibt es eine ganze Industrie, die darauf spezialisiert ist, die Auffindbarkeit auf Google zu optimieren. Bezahlt wird pro Klick. Das gilt natürlich nicht nur für Anwälte.
Das St. Galler Anwaltsverzeichnis nennt die bevorzugten Arbeitsgebiete der Kanzleien. Über die Qualität sagt das auch nichts aus.
Das stimmt, und auf der eigenen Homepage kann ohnehin jeder von sich schreiben, er sei der Beste. Überprüfbar ist das kaum. Mehr wert sind externe Zertifizierungen. Vor allem die Fachanwaltsausbildung, die der Schweizer Anwaltsverband vor 13 Jahren eingeführt hat. Nur wer diese Zusatzausbildung absolviert hat, darf sich «Fachanwalt SAV» nennen. Das ist ein Qualitätssiegel und keine Rankingposition.
Und dies gilt ein Anwaltsleben lang?
Wer den Titel behalten will, muss jedes Jahr fachspezifische Weiterbildung nachweisen. Der Titel sagt daher wesentlich mehr aus als eine Rangliste, die auf gegenseitiger Empfehlung beruht.
Schwingt da der Neid einer kleineren Kanzlei mit?
Es geht mir nicht um eine Qualifikation anderer Anwälte oder gar um Kollegenschelte. Ich will vielmehr den Klienten sagen: Schauen Sie sich diese Rankings durchaus an, aber lesen Sie nicht mehr heraus, als sie wert sind.
Englische Auszeichnungen sind demnach rein gar nichts wert?
Im Detail ist schwer durchschaubar, was dahinter steckt. Letztlich ist es wohl einfach Bauernfängerei, und die Bauern sind für einmal Anwälte. Es geht schlichtweg um Inserateeinnahmen.
Haben Sie auch schon bezahlt?
Ich werde immer mal wieder angefragt, ob ich mich in dieses oder jenes exklusive Register eintragen lassen will. Das sieht dann vielleicht gut aus, kostet aber schnell einmal 1000 Pfund oder mehr im Jahr. Dieses Geld verwende ich lieber für anderes.
Heute wird via soziale Medien alles und jedes bewertet. Kann man sich dem überhaupt entziehen?
Die Frage stellt sich schon: Wenn alle anderen in solchen Rankings auftauchen – soll man sich da vornehm zurückhalten und allenfalls sogar wirtschaftliche Nachteile riskieren? Dazu sind offensichtlich nicht mehr alle bereit.
Wie stark infiziert sind die St.Galler Kanzleien?
Exakte Zahlen habe ich nicht. Der Verbandsvorstand stellt einfach fest, dass es Kanzleien gibt, die dieses Instrument nutzen. Wir werden künftig sicher vermehrt darauf achten, ob dies zunimmt. Einschreiten könnten und wollen wir aber nur bei drastischen Übertreibungen.
Wie wirbt denn Ihre Kanzlei?
Zunächst mit der Selbstdeklaration in den üblichen Verzeichnissen und auf der Homepage. Die besten Erfahrungen machen wir mit Mund-zu-Mund-Werbung. Kunden, die mit unserer Arbeit zufrieden waren, sagen das auch weiter. Zudem stellen wir vermehrt fest, dass Klienten sich bei Bedarf nicht an irgendeinen Anwalt wenden, sondern eben einen Fachanwalt suchen.
Wie finde ich bei Bedarf den richtigen Anwalt für mich?
Neben fachlichen Kriterien spielen immer auch emotionale eine Rolle. Nicht jeder Klient versteht sich mit jedem Typ Anwalt gleich gut. Grundsätzlich gilt: Wer Mitglied des St. Galler Anwaltsverbandes ist, nimmt auch in Kauf, dass unzufriedene Klienten an den Verband gelangen können. Kommt dieser zum Schluss, etwas laufe nicht ordnungsgemäss, eröffnet er ein Verfahren. Wir haben ein eigenes Disziplinarreglement; dessen Sanktionen reichen vom Verweis über Bussen bis zum Verbandsausschluss.
Ein Verbandsausschluss ist vielleicht unangenehm, aber wirklich weh tut er nicht.
Das kann man auch umgekehrt sehen: Wer sich den Regeln des Verbandes unterwirft, demonstriert damit, dass er bereit ist, sich daran zu halten. Das lässt sich durchaus auch als Qualitätssiegel betrachten. Die Verbandszugehörigkeit kann bei den Klienten schon ein gewisses Vertrauen in die Seriosität eines Anwalts erwecken.
Ein Blickfang wirkt also doch.
Zweifellos. Wer aus der Masse herausragen will, muss ein besonderes Kennzeichen vor sich hertragen.
Aber kein Siegel – das ist Ihnen zu wenig seriös?
Ich halte nur fest: Ein Siegel oder ein Zertifikat allein sagt über die Qualität wenig aus.
Junge Anwälte, die aufsteigen wollen, dürften mit modernen Werbemethoden weniger Mühe haben.
Der Verband muss tatsächlich aufpassen, dass er nicht das Image des verkrusteten Freundeskreises erhält. Alles und jedes zuzulassen, ist aber sicher keine Option für die Zukunft. Anwalt zu sein verlangt immer noch, dass Klienten ihre Verhältnisse in vollem Vertrauen uneingeschränkt offenlegen können. Wenn das nicht gegeben ist, kann die Anwaltskammer in letzter Konsequenz die Berufsausübungsbewilligung entziehen.
Er ist in Pratteln aufgewachsen, hat in
Basel studiert und doktoriert. Dann verschlug es Michael Nonn in die Ostschweiz. Seit 2001 ist er als selbstständiger Rechtsanwalt und Notar in St. Gallen tätig; die Kanzlei heisst seit 2011 Swiss-Legal asg.advocati. Er hat sich als Fachanwalt SAV auf Erbrecht spezialisiert. Der 51-Jährige präsidiert zur Zeit den St. Galler Anwaltsverband, ist Mitglied der Prüfungskommission für Anwälte und derzeit noch Lehrbeauftragter für Privatrecht an der HSG. Seit 1997 hat er verschiedene Funktionen in der Militärjustiz innegehabt. Nonn ist verheiratet und geniesst in seiner Freizeit gerne Kulinarik und Sport. (rw)