Bürgerliche lenken Raumplanung

ST.GALLEN. Eine klare Mehrheit des Kantonsrates hat gestern das Steuer der Kantonsentwicklung an sich gerissen. Baudirektor Haag wehrte sich ebenso erfolglos wie die linksgrüne Minderheit, die nun allerdings das Referendum ergreifen will.

Marcel Elsener
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Hat jemand von Zersiedelung gesprochen? Mehr- und Einfamilienhäuser im Gebiet Spiserwis in Abtwil westlich von St. Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Hat jemand von Zersiedelung gesprochen? Mehr- und Einfamilienhäuser im Gebiet Spiserwis in Abtwil westlich von St. Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Eine lange, hitzige Debatte um die St.Galler Raumplanung? Nicht wirklich. Es waren gestern bei der umstrittenen Änderung des Baugesetzes im St.Galler Kantonsrat engagierte Voten zu hören, doch rote Köpfe gab es nicht. Noch nicht, denn derzeit sind eigentlich auch die Verlierer zuversichtlich, dass sie spätestens im November wieder bei den Gewinnern sein würden.

Denn, wie im Vorfeld angekündigt, werden SP, Grüne, EVP und Grünliberale das Referendum ergreifen. «4000 Unterschriften sind ein sportliches Ziel», sagte Nils Rickert (GLP) nach der verlorenen Ratsdebatte. «Doch ich bin sicher, dass wir im Herbst darüber abstimmen. Dann wissen wir auch, um wie viele Millionen Quadratmeter zusätzliches Bauland wir streiten.» Am 16. März werde er persönlich mit der Unterschriftensammlung beginnen, meinte der Co-Leiter des Referendums. «Ich freue mich auf die emotionale Diskussion.»

«Als Rat am Steuer sein»

Der grünliberale Organisationsberater Rickert ist in Sachen Raumplanung zum wichtigsten Gegenspieler des freisinnigen Anwalts und Hauseigentümer-Verbandspräsidenten Walter Locher avanciert, der seinerseits als Wortführer der Wirtschaftsverbände und bürgerlichen Fraktionen gegen die «zunehmend zentralistischen und bürokratischen» Tendenzen in der Planung («hin zum Bund und seinen Planern») anläuft.

«Wir wollen als Parlament die Handlungsfreiheit betreffend Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung selber in der Hand behalten», sagte Locher gestern in der Eintretensdebatte. «Was nützt es uns, wenn wir alle drei, vier Jahre über ÖV- und Strassenbauprogramme entscheiden, die Grundlagen dafür, nämlich den Richtplan, aber einfach der Verwaltung und der Regierung überlassen?» Der Kanton werde «neu faktisch in erster Linie über den Richtplan gesteuert», demnach wolle «der Kantonsrat mit am Steuer sein».

Locher wusste klare Mehrheiten auf seiner Seite; in den Abstimmungen gab es unter den bürgerlichen Parteien FDP, SVP und CVP nur sehr vereinzelte Abweichler. Entsprechend deutlich die Resultate: 85 Ja zu 27 Nein für Eintreten, 79 Stimmen für den Antrag der vorberatenden Kommission, dagegen nur 29 für jenen der Regierung. Noch deutlicher die Ablehnung des Eventualantrags, «wenn schon denn schon» die Verantwortung für den Erlass des Richtplans nicht zwischen Rat und Regierung zu teilen. Und schliesslich ebenso klar der Entscheid für beschleunigtes Vorgehen: Bereits heute kommt es zur zweiten Lesung.

Kampf um Zeit

Bei der Gesetzesänderung mag es «nur zum Zuständigkeiten» gehen, wie Locher betonte. Und doch brandete die Diskussion um den eigentlichen Streitpunkt bereits auf – um die möglichen Szenarien für Bevölkerungs- und Arbeitswachstum im Kanton. Die Bürgerlichen zielten laut Rickert just auf das «Weiterwuchern, dem das Volk mit über 64 Prozent-Mehrheit eine Abfuhr erteilte». Das vom «klar bürgerlichen» Regierungsrat gewählte Szenario Mittel sei alles andere als «wirtschafts- und entwicklungsfeindlich», sagte der GLP-Sprecher und warnte: «Heute diese Baugesetzänderung bedeutet morgen ein Szenario Hoch. Und daher müssen wir diese Vorlage mit allen Mitteln bekämpfen.» Nur sie sei referendumsfähig – der Kantonsratsbeschluss im Juni werde es nicht mehr sein, wusste Rickert.

Vor dem Hintergrund, dass bis zum rechtskräftigen Richtplan keine Einzonungen mehr möglich sind, drängt die Zeit. Dies wollten gestern alle Fraktionen für ihre Argumentation nutzen – inklusive Regierungsrat Willi Haag. Er habe bereits zwei Teilzonenpläne nicht genehmigen können, «weitere Verzögerungen werden die Gemeinden bitter spüren». Haag wehrte sich jedoch ebenso vergeblich gegen die bürgerliche Ratsmehrheit wie die SP-Vertreter Peter Hartmann und Ruedi Blumer, die ihrerseits «keinen zeitlichen Druck für die Hauruck-Übung» sahen und wenigstens die zweite Lesung auf die Junisession verschieben wollten. So blieb der Verliererseite nur die trotzige Zuversicht Rickerts: «Wir werden unabhängig vom Schnellzugstempo im November übers Referendum abstimmen.»

«Keine Gefahr im Raum»

Sein Gegenspieler Locher will das Szenario Hoch, weil man sich «Spielraum offenhalten» solle, wie er am Rand des Ratsgeschehens sagte. «Warum sollen wir uns grössere Fesseln anlegen als Graubünden oder der Thurgau?» Für ein «differenziertes Szenario» macht sich derweil CVP-Sprecher Peter Göldi stark. «Wichtig ist, was wir wo wollen in den Regionen.» Die geschürte Angst um die Aushebelung der Raumplanung könne er nicht verstehen, so Göldi, weil der St.Galler Richtplan ja in Bern genehmigt werden müsse.