Wer die St.Galler Ausgangsszene vor 50 Jahren gekannt hat, der hat zumindest von ihm gehört. «Blacky» war Rockerchef, Käser, Jugendhausleiter, Privatchauffeur, Waffenplatzwart. Und als Karatemeister bewachte er mit seinen Schülern die Bühne des Open Airs.
Blacky kneift seine wachen Augen zusammen, als er das schummrige «Goliathstübli» betritt. «Hier war ich seit Jahrzehnten nicht mehr.» Er setzt sich an die Bar und bestellt Kaffee. Der Zucker hat sich noch nicht aufgelöst, als ein «Stübli»-Gast ihm auf die Schulter klopft und ihn mit löchrigem Gebiss angrinst: «Sieht man dich auch mal wieder.» Egal, mit wem man spricht, die Leute erinnern sich gerne an Blacky. Auch wenn man ihn, den durchtrainierten 71-Jährigen, kaum noch in der Stadt antrifft.
Beat «Blacky» Cina verdankt sein Leben einem Arzt an der Goliathgasse. Dieser hat sich 1947 geweigert, ihn abzutreiben. Die Schwangerschaft war zu weit fortgeschritten. Gleich nach der Geburt liess ihn die Mutter bei den Ingenbohler Schwestern im Lindenhof in Gossau. Er hat nie mehr etwas von seinen Eltern gehört. Die Nonnen sagten ihm, er sei zu dumm für den Kindergarten. Für die Mitschüler und den Lehrer, der Schiefertafeln auf seinem Kopf zertrümmerte, war er immer der «Waisenhüsler». Wenn er die Sonntagspredigt nicht korrekt nacherzählen konnte, musste er aufs Dreikantholz knien. «Ich durfte nie einer Mutter auf dem Schoss sitzen, solche Zuneigung kannte ich nicht.» Aus kindlicher Einsamkeit wurde jugendliche Verzweiflung. In seinem Lehrbetrieb, einer Käserei in Flawil, schluckte der 16-Jährige Kupfervitriol. Ein Kollege fand ihn – Magen auspumpen im Spital, danach 14 Tage Psychiatrie in Wil.
Nach der Lehre zog Cina nach Wagen bei Jona, wo er eine Clique fand. Auch er trug damals Blüemlihosen, aber nicht lange. Die «Töfflibuben» stickten sich lieber Totenkopfabzeichen auf die Jacken. Cina wurde Präsident der Rolling Devils. 70 Stundenkilometer brachte sein Schnäpper auf den Tacho, ein Monarch mit frisiertem Sachs-Motor, überhohem Lenker, Rückenlehne und allerhand Leuchten. Sie fuhren bei jedem Wetter, verbrachten Nächte am Lagerfeuer oder in alten Scheunen.
1968 verliess er die Rolling Devils und zog nach St.Gallen. Dort tat sich der 21-Jährige bald mit Gleichgesinnten zusammen und gründete die Outlaws, die ihn fortan «Blacky» riefen. Man verkehrte in der nördlichen Altstadt, im «Africana», im «Stübli» und im Jugendhaus, und schindete mit den schweren Motorrädern mächtig Eindruck. In einem Selbstportrait in einer Zeitung schrieb er: «Wir belästigen niemanden grundlos. Aber provozieren sie uns nicht! Unsere Gang zählt sieben Vollmitglieder und drei Anwärter.»
Mit Gewalt- und Drogenexzessen à la Hells Angels hatte das wenig zu tun. Es war zu einem Teil schlicht Show, sicherlich auch die Suche nach Identität. Ein Lokalredaktor fragte, ob es nach dem «an sich guten» Film «Easy Rider» von 1969 nötig sei, wie ein Abziehbildchen von Peter Fonda herumzulaufen. Blacky hatte sich für diesen Artikel fotografieren lassen. Er fuhr lange vor Erscheinen des Kultfilms eine Harley, eine rote 1200er, Baujahr 1951. Für sein Umfeld war er kein Abziehbildchen.
Vor kurzem ist eine Frau auf Blacky zugekommen. Er konnte sich zuerst nicht an sie erinnern. Dann erzählte sie ihm vom Familiy-Konzert 1973 im «Schützengarten». Die Outlaws waren für die Sicherheit zuständig. Ein paar «linki Sieche», wie Blacky sie nennt, stürmten die Kasse, weil sie nicht mit den 18 Franken Eintritt einverstanden waren. Im Tumult griff die Frau nach einem Betonrohr und zog es Blacky über den Schädel. Bevor er das Bewusstsein verlor, verpasste er ihr noch einen rechten Haken. In der Notaufnahme waren sie sich wieder begegnet. Heute erst, nach 45 Jahren, haben sie sich versöhnt.
Blacky ist ein friedliebender Typ, der den Streit nie suchte. Er setzte sich immer für die Schwächeren ein, hatte ein Herz für die Verstossenen und Abgestürzten, weil er wusste, was es heisst, nicht verstanden zu werden. Kurz vor Weihnachten 1969 sassen im Jugendhaus Gemeinderat Max Hungerbühler, Stadtrat Georges Enderli und Alex Seiler von Pro Juventute. Wenige Jahre nach der Eröffnung stand die Jugendeinrichtung wieder vor dem Aus. Der bisherige Leiter wollte nicht mehr. Blacky, der zufällig in die Sitzung platzte, erklärte: «Ich übernehme.» Die Behörden überliessen ihm das Jugendhaus probehalber über die Feiertage. Daraus wurden sieben Jahre. Bis die Stadtoberen befanden, er könne das nicht mehr, weil er keine Ausbildung zum Sozialarbeiter hatte.
Dabei hat es funktioniert: Im Jugendhaus gab es eine kleine Bibliothek und einen Farbfernseher. Schüler machten hier ihre Hausaufgaben. Das Mittagessen kostete zwei Franken. Obdachlose fanden Unterschlupf. Auch Junkies gingen bei Blacky ein und aus, fanden bei ihm Gehör und Obhut. Konsumiert wurde im Haus nie, dafür sorgten die Outlaws. Dafür fand der eine oder andere, nach dem gefahndet wurde, Zuflucht. Dann liess Blacky deren Namen auf den polizeilichen Meldelisten weg. «Ich habe viele an den Drogen zugrunde gehen sehen», sagt Blacky und lässt den Blick durchs Goliathstübli schweifen. «Viele sind daran gestorben. Damals wurden sie nicht als Kranke angesehen, die Hilfe brauchten, sondern als schlechte Menschen, die sich aus freien Stücken in ihr Elend begeben hatten. Das ist heute zum Glück anders.» Er selber hat nie konsumiert, hat weder gesoffen, noch gekifft.
Mitte der 1970er-Jahre begannen die Outlaws auseinander zu bröckeln. Über einen Freund wandte Blacky sich dem Kampfsport zu – seiner grossen Leidenschaft bis heute. 1975 gründete er das Karate-Do St.Gallen, eine Schule, die für ihr hartes Training berüchtigt war: Überlebenswochenenden in der Wildnis, barfuss Training im Schnee. Fortan arbeitete er als Geld- und Gold-Transporteur, Privatchauffeur im Dienste der Divisionäre Lipp und Scherrer, Transporteur beim Weinhändler Martel, Waffenplatzwart im Breitfeld, Munitionsbeseitiger im Alpstein. An den ersten Open Airs in Abtwil und später im Sittertobel bewachte er mit seiner Karateschule die Bühne. 1980 trug er die sturzbetrunkene Gianna Nannini in den Backstage-Bereich, weil ein schlammgeplagter Mob die Bühne gestürmt hatte. 1989 war er kurz davor, Herbert Grönemeyer vom Gelände zu schmeissen, der sich mit Künstlerbetreuer Fritz Portner angelegt hatte. Doch Open-Air-Gründer Freddy «Gagi» Geiger konnte schlichten.
Die wilden Jahre hat Blacky hinter sich. Und auch wenn er sich immer mit Leuten umgeben hat, so ist er doch im Grunde ein einsamer Wolf geblieben. Geheiratet hat er nie, obwohl er Freude gehabt hätte an eigenen Kindern. Heute geniesst er seinen Ruhestand, bestellt sein Gärtlein, fährt Mountainbike, trainiert Karate, ist gut in Form. Nur die Knie schmerzen. Vom Rockertum hat er sich längst distanziert. Nicht aber vom Motorradfahren: «Solange ich meine BMW noch halten kann, fahre ich mit ihr. Später dann halt einen Roller.»