Bibliotheksvision am Marktplatz

Die neue Publikumsbibliothek in der St. Galler Hauptpost ist ein Erfolg, jedoch ein Provisorium. Nun prüfen Kanton, Stadt und Helvetia-Versicherungen als Liegenschaftsbesitzerin den Bibliotheksstandort Union am Blumenmarkt.

Marcel Elsener
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Prägnanter Bau aus den 1950er-Jahren: Das Geschäftshaus Union am Schibenertor, unmittelbar am St. Galler Stadtzentrum mit Marktplatz und Bohl (hinten). (Bild: Urs Bucher)

Prägnanter Bau aus den 1950er-Jahren: Das Geschäftshaus Union am Schibenertor, unmittelbar am St. Galler Stadtzentrum mit Marktplatz und Bohl (hinten). (Bild: Urs Bucher)

Marcel Elsener

marcel.elsener@ostschweiz.ch

Inoffiziell ins Spiel gebracht wurde sie seit Jahren, jetzt ist die Idee spruchreif: Helvetia-Versicherungen, Kanton und Stadt St. Gallen prüfen in den kommenden Monaten das Geschäftshaus Union am Rand der St. Galler Altstadt als Standort für die gemeinsame Bibliothek; bis Ende dieses Jahres sollen klärende Fakten vorliegen. Die Option für die Bibliothek wird möglich, weil die Liegenschaftsbesitzerin Helvetia und die weiteren Investoren definitiv auf das um­­strittene Parkhaus Schibenertor verzichten, wie sie gestern mitteilten. Auch wenn es gemäss Kantonsbaumeister Werner Binotto «derzeit noch mehr Fragen als Antworten gibt», ist die Begeisterung der Beteiligten für den möglichen Bibliotheksstandort spürbar: In der gemeinsamen Medienmitteilung ist von einem «attraktiven» Standort mit «grossem Potenzial für das öffentliche Leben im Herzen der Kantonshauptstadt» und der «Chance für spannende Synergien» am dereinst neu gestalteten Marktplatz und Bohl die Rede.

Klar ist, dass die Helvetia das Gebäude aus den 1950er-Jahren in den nächsten Jahren sanieren muss – und dass sie es nicht verkaufen will. Das Modell der Partnerschaft zwischen Kanton, Stadt und Versicherungsunternehmen ist ebenso offen wie die bauliche Erneuerung. Ein Abbruch ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich: Die Helvetia bevorzugt einen Erhalt, und Denkmalpflege, Heimatschutz sowie Architektenverbände haben signalisiert, dass der Bau schützenswert sei. Wie in der Hauptpost müsste im «Union» die Statik verstärkt werden, um die Last der vielen Bücher zu tragen. Zusätzlich könnten «grössere Tonnagen» in einem Neubau Platz finden; eine Option wäre laut Binotto die Überbauung des Blumenmarkts als Fassadenabschluss am Marktplatz, vorstellbar mit Innenhof. Auf jeden Fall strebe man eine öffentliche Nutzung im Erdgeschoss an, einen Begegnungsort mit Restaurants und Veranstaltungsräumen, wie ihn etwa das Literaturhaus München verkörpere, sagt der Kantonsbaumeister.

Ein idealer Standort im Zentrum der Publikumsströme zwischen Bahnhof, Marktplatz und neuem Uni-Campus am Platztor; mit einem städtebaulichen «Mehrwert», wie die St. Galler Stadträtin Maria Pappa «mit grosser Freude» feststellt. Die Bibliotheksoption «Union» wird demnach auch Thema im laufenden Forumsprozess für die Neugestaltung von Marktplatz und Bohl. In der gewählten offenen Strategie sind laut Pappa alle Ideen prüfenswert, bis hin zu einem offenen Marktbetrieb in einem Teil des Union-Erdgeschosses.

Bis 2019 müssen Kanton und Stadt Bibliotheksvorlage unterbreiten

Der Grund für den neuen Anlauf ist das nach einer Volksinitiative erlassene Bibliotheksgesetz von 2014: Es verpflichtet Regierung und Stadtrat, bis 2019 dem Kantons- und Stadtparlament je eine Vorlage für eine gemeinsame Bibliothek an einem zentralen Standort in der Kantonshauptstadt zu unterbreiten. Die in jenem Jahr provisorisch bezogene Hauptpost bleibe eine «valable» Option, doch müsse während der notwendigen mehrjährigen Sanierung «ein zentral gelegenes Provisorium fürs Provisorium» gesucht werden, sagt Binotto. «Ein Umbau mit gleichzeitigem Betrieb ist nicht möglich.»

Die Bibliothek Hauptpost läuft laut Katrin Meier, Leiterin Amt für Kultur, «sehr gut». Dies belegen die Zahlen: Von 2014 auf 2016 hat sich die Anzahl Ausleihen bei der Kantonsbibliothek verdoppelt – von 77000 auf 154000 Ausleihen. Und auch die Stadtbibliothek steigerte ihre Ausleihen in der Hauptpost sowie in Katharinen um gut 20 Prozent, von 453000 auf 539000 Medien. Trotz des Erfolgs ist das Provisorium betrieblich aufwendig und nicht kundenfreundlich: Aufgrund der drei Standorte Hauptpost (Bücher für Erwachsene), Katharinen (Kinder und Jugendliche, Pädagogik) und Vadiana (Wissenschaft) müssen Familien und spezifisch Interessierte weite Wege machen oder auf bibliotheksinterne Transporte warten. Dabei sind die Dimensionen einer St. Galler Publikumsbibliothek wahrlich gross: Das Provisorium Hauptpost bietet derzeit rund 100000 Medien, doch der weitaus grössere Teil des Bestands wird an den genannten anderen Orten sowie im Lager aufbewahrt – führte man alle Teile der Kantons- und Stadtbibliothek an einem Standort zusammen, wären in jener «Zentrale» rund 950000 Medien verfügbar, allerdings nur der kleinere Teil davon als Freihandbestand zugänglich.

Hauptpost als Schulgebäude für Gewerbe- und Fachhochschule

Den Standort «Union» bezeichnet Katrin Meier aus Sicht der Bibliotheksbetreiber als «wunderbar». Auch der Kantonsbaumeister bevorzugt ihn gegenüber der als «Trutzburg» wirkenden Hauptpost, die sich aufgrund ihrer Struktur und der hohen Räume und Gänge eher als Schulgebäude eigne, etwa für FHS, GBS (namentlich für die wachsenden Gesundheitsberufsangebote) oder KV. Das Bahnhofsareal biete sich als überregionaler Schulstandort an, sagt Binotto. «Zusammen mit der Migros-Klubschule entstünde ein Cluster der Berufs- und Erwachsenenbildung, mit täglichem Betrieb von 8 bis 22 Uhr.» Ebenfalls denkbar, wenn auch anspruchsvoll, ist laut Binotto ein Bibliotheksbau auf dem schmalen Grundstück im Bahnhof Nord, wo ebenfalls ein partizipativer Prozess läuft.

Der Zeitplan für die Neue Bibliothek ist gegeben: Regierungsrat und Stadtrat planen das Projekt seit 2015, die Parlamentsbeschlüsse sollen 2019 fallen. Anschliessend hat das Volk in Kanton und Stadt das letzte Wort. Für die neue Option spricht schon mal der eingängige Name: Was wäre für die vereinigte Stadt- und Kantonsbibliothek passender als der angestammte Begriff «Union»?