Andreas Thürer und Uwe Moor haben Interessierte auf einen Grenz-Rundgang in Kreuzlingen und Konstanz mitgenommen. Dabei haben sie Orte besucht, die Schicksale wieder lebendig werden lassen.
Georg Elser ist wohl eine der prominentesten Personen, die auf dem Stadtrundgang vorgestellt werden. Der Hitler-Attentäter wurde in unmittelbarer Nähe zum Grenzzaun Kreuzlingen-Konstanz an der Schwedenschanze verhaftet. «Ganz kurz vor Kriegsende kam er im Konzentrationslager Dachau ums Leben», erzählt Andreas Thürer. Gemeinsam mit Uwe Moor leitet er die Führungen. Die beiden pensionierten Geschichtslehrer kennen sich vom Seminar in Kreuzlingen. Thürer sagt:
«Schon damals bin ich mit den Schülerinnen und Schülern immer wieder raus aus dem Klassenzimmer. Denn Geschichte lernt sich besser am Ort des Geschehens als nur aus dem Buch.»
Das Grüppchen am Dienstagabend trotzt Wind und Regenwolken und besammelt sich am Hauptzoll. «Wir sind bei jedem Wetter unterwegs», sagt Uwe Moor. «Heute reden wir über die Schicksale, die wir kennen. Viele kennen wir auch nicht.»
Die Grenze sei kein neues Thema, aber es gebe immer wieder neue Erkenntnisse, auch für die beiden Historiker. Dabei werden sie nicht müde zu betonen, dass die Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen erst mit den beiden Weltkriegen an Relevanz gewann, «und leider wieder in vielen Köpfen wichtiger werden wird», befürchtet Thürer im Hinblick auf das, was während der Pandemie auf Klein Venedig geschah, und die jüngsten politischen Entwicklungen in Europa.
Aus der eigenen Familie weiss Moor, dass sein Grossvater mit seinem Appenzeller Käse immer aus Urnäsch nach Konstanz auf den Markt reiste, um ihn dort zu verkaufen.
«Am Zoll gab es eine Art Kiosk mit einem dicken Buch darin. In das hat man sich mit Namen eingetragen, wenn man rüberging, und ausgetragen, wenn man zurückging. Eine unglaublich offene Sache.»
Ganz in der Nähe des Hauptzolls, an der Konstanzer Schwedenschanze, wurde besagter Georg Elser verhaftet. Am 8. November 1938 montierte er eine Bombe an einem Rednerpult im Münchner Bürgerbräukeller, an dem Adolf Hitler sprechen sollte. Die Bombe explodierte auch, doch war Hitler schon früher als geplant abgereist.
Den Zollbeamten fiel Elser auf, weil er in der Villa Wessenberg, wo heute eine Kita eingemietet ist, so intensiv Radio hörte – die Berichterstattung über den Festanlass im Bräukeller. Dass er sich so grenznah befand, hing mit seiner geplanten Flucht in die Schweiz zusammen. Elser kannte die Gegend gut, da er in Bottighofen als Schreiner gearbeitet hatte. Bald fanden die Zöllner Beweismaterial für das Attentat. Elsers Denkmal steht am Eingang zur Villa.
Bekannt war den Anwesenden hingegen die jüdische Familie Hilb. Sie lebte ab 1904 in der Kreuzlingerstrasse 5, in unmittelbarer Nähe zum Konstanzer Schnetztor. Eine Nachkommin, Caroline Hilb, kannten einige vom Seminar in Kreuzlingen persönlich. Das Buchgeschäft ihres Grossvaters Ernst Hilb wurde ab der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten boykottiert. In Kreuzlingen gab es noch eine Filiale seines Geschäfts.
Dennoch lehnte der Kanton Thurgau mit Zuspitzung der Lage für Juden das Einreisegesuch Hilbs ab – «wegen der Gefahr von Überfremdung und Überlastung des Arbeitsmarkts», weiss Thürer. Er betont, dass es auch in der Schweiz Antisemitismus gab. «Es war eine spezielle Form von Antisemitismus, wie viele kleine Nadelstiche.» Hilb gelang mittels Transitvisum dennoch die Flucht.