Beil-Attacke von Flums: Täter ist schuldunfähig – Gericht weist ihn in geschlossene Anstalt ein

Das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland hat den Beil-Angreifer von Flums wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des mehrfach versuchten Mordes freigesprochen. Der heute 18-Jährige hatte am 22. Oktober vergangenen Jahres in Flums mehrere Personen mit einem Beil zum Teil schwer verletzt.

Reinhold Meier/Tim Naef
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Die Tatwaffe bei der Gewalttat in Flums war ein Beil. (Bild: Keystone)

Die Tatwaffe bei der Gewalttat in Flums war ein Beil. (Bild: Keystone)

Der heute 18-jährige geht für lange Zeit in eine geschlossene Einrichtung. Ausschlaggebend dafür ist ein psychiatrisches Gutachten, das ihm eine schwere schizophrene Störung attestiert, also eine Erkrankung, die von massiven Wahnvorstellungen begleitet ist und den normalen Realitätsbezug auflöst. Sie ist in akuten Phasen meist von grosser Angst, von tiefgreifenden Denkstörungen und dem Verlust der Selbstkontrolle begleitet. Zudem führt sie vielfach zur apathischen Verflachung der Gefühle und kann auch das Sozialverhalten abnorm verändern.

All dies trifft sinngemäss im Falle des Amoktäters zu, wie die Gutachterin im nichtöffentlichen Teil der Verhandlung darlegte. Sie kam zum Schluss, dass der Mann zum Tatzeitpunkt weder wusste, was er tat, noch das Unrecht seines Tuns einsehen konnte. Er war somit von einem destruktiven Erleben jenseits der normalen Klarheit von Sinn und Verstand getrieben. Seine Erkrankung sei sehr schwer ausgeprägt, im Verlauf langwierig und nur schwierig zu heilen. Die Behandlungsaussichten seien wohl eher skeptisch einzuschätzen.

Genugtuung offen

Nach der Einschätzung des Gerichts ist das Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar begründet. Damit kann dem Täter rein rechtlich keine Schuld angelastet werden, weil er im juristischen Sinne nicht schuldfähig ist. «Infolge der Erkrankung war er nicht in der Lage, vernunftgemäss zu handeln». Damit gelte er als nicht-urteilsfähig, heisst es im schriftlichen Urteil. Das Jugendstrafrecht sieht jedoch so genannte Schutzmassnahmen auch dann vor, wenn ein Täter als formal unschuldig gilt. Darum ordnete das Gericht eine geschlossene Unterbringung an.

«Es muss davon ausgegangen werden, dass er die nächsten Jahre dort verbringt».

Nachdem der Mann als rechtlich unschuldig gilt, kann er grundsätzlich auch nicht dazu verurteilt werden, den Opfern Schadensersatz und Genugtuung zu zahlen, heisst es weiter. Dies sei höchstens in Ausnahmefällen aus Billigkeitsgründen denkbar, so die Urteilsbegründung. Ob jedoch hierfür bei einem mittellosen, jugendlichen Täter, der jahrelang in einer geschlossenen Einrichtung verbringen wird, tatsächlich ausreichende Gründe vorliegen, habe das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht abschliessend beurteilen können. Die Forderungen von 236'000 Franken Schadensersatz und 157'500 Franken Genugtuung wurden daher auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.

Rekurs möglich

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es zieht gleichwohl einen gewissen Schlussstrich unter eine traumatisierende Bluttat, die Flums und die Region im Oktober 2017 erschüttert hat. Der geständige Täter hatte sieben Menschen mit einem Beil ziellos und äusserst brutal, teils schwer verletzt. Er konnte erst von Pistolenkugeln der Polizei gestoppt werden. Die Jugendstaatsanwaltschaft hatte drei Jahre Gefängnis und eine geschlossene Unterbringung gefordert. Die Opfer leiden bis heute unter den Folgen.

Rekonstruktion des Tatgeschehens durch die Staatsanwaltschaft

22. Oktober 2017, 20 Uhr - Brandstiftung

Der heute 18-jährige Lette wird verdächtigt, bei seinem Wohnort einen Holzstapel in Brand gesetzt zu haben. Das Feuer konnte vor Eintreffen der örtlichen Feuerwehr gelöscht werden.

Nach 20 Uhr - Angriff auf Ehepaar mit Kind

Der Angeklagte soll in Tötungsabsicht mit einem Beil ein Ehepaar attackiert haben, das mit seinem Kind im Kinderwagen unterwegs war. Der damals 35-jährige Mann und die damals 30-jährige Frau wurden dabei schwer verletzt und mussten im Spital operiert werden. Während der Attacke stürzte das damals achtmonatige Kleinkind aus dem Kinderwagen und musste ebenfalls ins Spital gebracht werden.

Ebenfalls kurz nach 20 Uhr - Angriff auf weiteres Paar

Während der Attacke auf das Ehepaar versuchte ein damals 72-jähriger Mann, welcher mit seiner Ehefrau mit dem Auto beim Postplatz vorbeifuhr, den Beschuldigten dazu zu bringen, von der Frau abzulassen. Der Beschuldigte steht in Verdacht, in der Folge den Mann mit dem Beil angegriffen und dessen Tod in Kauf genommen zu haben. Der Mann erlitt Schnittverletzungen an der Hand.

Zwischen 20 Uhr und 21 Uhr - Angriff auf Frau und Autounfall

Nach den ersten zwei Attacken begab sich der Angeklagte zur Ehefrau des Mannes, deren Auto er entwenden wollte. Nach einem Wortgefecht mit der damals 59-jährigen Frau schlug der Beschuldigte mit dem Beil auf sie ein und fügte ihr am Unterarm eine Rissquetschwunde zu. Danach entwendete der Beschuldigte das Auto und fuhr vom Postplatz in Flums in Richtung Garnischastrasse. Dort verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und prallte in einen Gartenzaun.

Nach 21 Uhr - Angriff auf eine Frau in der Tankstelle

Nachdem der Beschuldigte vergeblich versuchte, sich mit einem unverschlossenen Fahrzeug nach Lettland abzusetzen, begab er sich zu Fuss zur Agrola-Tankstelle in Flums. Er attackierte dort mutmasslich in Tötungsabsicht eine damals 44-jährige Frau mit einer Schere und verletzte sie, bevor sie fliehen konnte, im Gesicht. Er tat dies, um ihr Fahrzeug zu entwenden, was ihm aufgrund des fehlenden Fahrzeugschlüssels aber nicht gelang.

Zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr - Angriff auf schwangere Frau

Der Beschuldigte begab sich nach der Attacke auf die 44-Jährige zum nächsten parkierten Fahrzeug, in dem eine damals 27-jährige Frau sass, welche im achten Monat schwanger war. Er versuchte, die Fahrertüre ihres Autos zu öffnen. Eine damals 21-jährige Frau eilte zur Hilfe und wurde darauf vom Beschuldigten mit dem Beil attackiert. Dabei nahm der Beschuldigte mutmasslich deren Tod in Kauf. Sie erlitt dabei Verletzungen an der Hand. Zwischenzeitlich konnte die 27-jährige Frau aus ihrem Auto fliehen.

Kurz vor 21.30 Uhr - Zweiter Unfall und Verhaftung durch Kantonspolizei

Der Beschuldigte setzte sich ins Fahrzeug und fuhr in die Fassade des Tankstellenshops, weil er den Rückwärtsgang nicht einlegen konnte. Danach wurde er von der Kantonspolizei St.Gallen verhaftet.