Auf Handys von Sekschülern in Elgg fanden sich grenzwertige Nazi-Witze. So würden rechte Ideologien salonfähig, warnt eine Stiftung – zumal das häufig vorkomme. In der Ostschweiz sind solche Fälle bisher nicht offiziell bekannt.
Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.
Sie verbreiten sich rasend schnell über Facebook, Internet-Foren und Whatsapp-Chats, die «Memes». Meist sind es schnell gebastelte Witzchen aus einem Bild und einem Spruch. Im besten Fall lustig genug, um ein paar Lacher zu ernten, bevor sie vergessen sind. Doch die Lacher bleiben im Hals stecken, wenn das Bild Adolf Hitler zeigt, und der Spruch zum Beispiel lautet: «Du bist lustig, Dich vergas ich zuletzt.»
Genau solche Witze waren in einer Whatsapp-Gruppe von Sekundarschülern im zürcherischen Elgg alltäglich. «FC NSDAP» hiess die Gruppe nach der Nazi-Partei, und neben Nazi-Sprüchen wurden auch Pornografie und Gewaltvideos herumgezeigt. Besonders mache den Fall nur die Tatsache, dass hier Anzeige erstattet wurde.
Rund zweieinhalb Jahre ist es her, seit sich in Unterwasser rund 5000 Neonazis aus dem In- und Ausland für ein Konzert trafen. Seither kam es zwar auch in der Ostschweiz hin und wieder zu rassistischen oder antisemitischen Vorfällen, wie die Chronologie der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus aufzeigt. Die eigentliche rechtsextreme Szene scheint sich aber bis auf ein paar Schmierereien zurückgehalten zu haben.
Das sieht auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) so. «Die Rechtsextreme Szene der Schweiz hält sich bedeckt», heisst es im Bericht zur Sicherheitslage aus dem Jahr 2018. Tatsächlich ist die Zahl der rechtsextremen Ereignisse, die der NDB zählt, seit 2012 zurückgegangen, ganz im Gegensatz zum Linksextremismus.
Allerdings scheint sich der NDB vor allem auf einigermassen etablierte Neonazi-Organisationen wie die Westschweizer Résistance Helvétique oder international verflochtene Netzwerke wie die «Hammerskins» oder «Blood and Honour» zu beziehen. Doch Gewalttaten wie diejenigen von Christchurch im März oder in Pittsburgh im vergangenen Herbst zeigen: Rechtsextreme Ideologien existieren auch ausserhalb dieser Organisationen. Gerade in Internet-Foren wie «8Chan» oder «Discord», aber auch in gewissen Computerspiel-Foren. Dort werden nicht nur Verschwörungstheorien verbreitet. Dort entstehen etliche «Memes», witzig scheinende Bilder und Sprüche, die rechte Ideologien verharmlosen – Witzchen, wie sie auch auf den Handys der Schüler in Elgg auftauchten.
Auch Schweizer verkehren in solchen Foren. Was dort geschieht, bleibt den Schweizer Behörden aber weitgehend verborgen. «Bei Personen, die in eine extreme Richtung gehen, spielt das Internet immer wieder eine Rolle», sagt Gian Andrea Rezzoli, Sprecher der Kapo St.Gallen. «Im Internet findet man heute alles.» Es sei aber nicht möglich, alles zu überwachen. Im Rahmen des Bedrohungsmanagements begleite die Kantonspolizei sogenannte Gefährder, von denen manche einen radikalen Hintergrund haben. Auf diese stosse die Polizei entweder im Rahmen der Fallbehandlung, oder sie erhält einen Hinweis des Nachrichtendienstes des Bundes.
Da Rechtsextremismus dort aber nur als «Gewaltextremismus», nicht aber als «Terrorismus» eingestuft wird, hat der Nachrichtendienst nicht die Befugnisse, präventiv zu überwachen. (ken)
«Beinahe wöchentlich bekommen wir eine Anfrage», sagt Dominic Pugatsch, Geschäftsführer der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Von Lehrern oder Eltern, «wo ich hinkomme, höre ich etwas. Erst gerade hielt ich einen Vortrag bei einem Rotary Club, und auch da hat sich jemand an mich gewandt.» Meist gehe es um Whatsapp-Chats oder ähnliche Gruppen. Es gebe Fälle in allen Landesteilen. Nicht jeder, der in einer Gruppe mitmache, sei automatisch Täter, sagt Pugatsch. Viele machen mit, um dazuzugehören. Allerdings gehörten deshalb auch eigentlich betroffene Minderheiten zur Gruppe.
Zwar handle es sich auf den ersten Blick nur um geschmacklose Witze. Aber dadurch würden das Nazi-Vokabular und dessen Symbole banalisiert, ja salonfähig. «Da werden auch ganz bewusst gewisse Dinge in den Köpfen der Jugendlichen festgesetzt», sagt Pugatsch. Denn die Figuren und Symbole, die in solchen Memes verwendet werden, stehen klar für eine gewisse Ideologie. Und dank der Digitalisierung sind solche Bilder einfach zugänglich.
In der Ostschweiz scheinen solche Fälle aber noch selten zu sein. «Ein ähnlicher Fall, wie die Medien ihn aus Elgg berichteten, ist uns im Kanton St.Gallen nicht bekannt», sagt Esther Luder, Leiterin der Kriseninterventionsgruppe des Schulpsychologischen Dienstes des Kantons St.Gallen (KIG). Fälle wie dieser würden auch im Kanton St.Gallen in den Zuständigkeitsbereich der Polizei oder der Jugendanwaltschaft fallen.
Und weder bei der Thurgauer noch bei der St.Galler Kantonspolizei sind solche Chats bislang ein Thema. «Meist geht es bei Jugendlichen um Sextortion», sagt Gian Andrea Rezzoli, Sprecher der St.Galler Kantonspolizei. Es komme auch vor, dass Jugendliche im Netz Informationen zum Nationalsozialismus suchen. «Wir stiessen bei Ermittlungen aber noch nie auf Chatverläufe, bei denen es um Indoktrinierung oder Diskriminierung ging.»
Harmlos sind aber auch die Chats von St.Galler Jugendlichen nicht. «Auch hier teilen Jugendliche in Chats pornografisches Material, beleidigen sich gegenseitig oder nutzen nicht tolerierbare Ausdrücke», sagt Esther Luder.
Das müsse ernst genommen werden, auch wenn die Inhalte nicht strafrechtlich relevant seien. «Es gilt in jedem Fall zu intervenieren», sagt Luder. Die Schulen seien sensibilisiert und würden sich Unterstützung holen, wenn sie von solchen Vorfällen Kenntnis hätten, sagt Luder. Wichtig sei, dass es niederschwellige Angebote gebe und rasch Unterstützung abrufbar sei – deshalb sei die KIG immer zur Stelle.
«Jugendliche sollen merken, dass die Erwachsenen hinschauen und handeln», sagt Luder weiter. Im Gespräch mit den Jugendlichen klären sich die Motive meist rasch. Es gehe meistens um Gruppenzugehörigkeit, Neugier und eine Portion Nervenkitzel. Oft seien sich die Jugendlichen nicht bewusst, dass ihr Tun strafrechtlich relevant sein könnte.
Auch Dominic Pugatsch plädiert dafür, solche Fälle nicht unter den Teppich zu kehren. «Sonst wächst nur die Dunkelziffer.» Dann gehe es darum, geeignete Mittel finden, um damit umzugehen. Die Schulsozialarbeit könne helfen, aber auch Stiftungen wie die GRA. Seine Stiftung bietet zum Beispiel Schüler- und Studienreisen nach Polen an – nach Auschwitz.
Denn durch solche «Witze» verharmloste Ideologien geraten immer mehr in Vergessenheit, sagt Dominic Pugatsch. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust müssten im Unterricht deshalb immer noch gebührend Platz finden. «Es ist auch wichtig, dass ein für die Jugendlichen geeigneter Zugang zum Thema gewählt wird», sagt er. Dazu könnten sich auch Filme wie «Schindlers Liste» eignen. «Dann überlegt man sich vielleicht, ob man nicht doch lieber Katzenbilder teilt als Hitler-Witze.»