Der Kanton St.Gallen hatte eine Fahrzeit von markant unter einer Stunde für die Bahnfahrt von St.Gallen nach Zürich verlangt. Diese Forderung will der Bundesrat nun 2035 erfüllen.
Das einhellige Signal aus dem St.Galler Kantonsrat vor einem Jahr hatte einer Kampfansage geglichen: In seltener Einigkeit kritisierten SVP, FDP, CVP, SP, Grüne und GLP in einem gemeinsamen Communiqué die vom Bundesrat präsentierte Vernehmlassungsvorlage zum Bahnausbau 2035. Als «Affront gegenüber der Ostschweiz» wurde vor allem moniert, dass auf dem Korridor Winterthur–Wil–St.Gallen–Rheintal keine der verlangten Leistungssteigerungen realisiert werden solle. Bereits in der Septembersession hatten die Fraktionen verlangt, dass St.Gallen endlich als Vollknoten ins nationale Fernverkehrsnetz eingebunden werde.
Gestern stellte der Bundesrat die Botschaft zum Bahn-Ausbauschritt 2035 vor, in der der öffentliche Verkehr mit 11,9 Milliarden Franken gestärkt wird. Darin kommt nun die Ostschweiz deutlich mehr zum Zug: Mit neuen Viertel- und Halbstundentakten, mit dem Ausbau von Express-Trassen für den Güterverkehr und mit Ausbauten auf der Strecke Winterthur–Konstanz und Winterthur–Romanshorn. Aufhorchen lässt vor allem aber der angekündigte Kapazitätsausbau und die Beschleunigung auf dem Korridor Winterthur–St.Gallen–St.Margrethen. «Diese wird durch den Brüttenertunnel erst möglich», sagt Patrick Ruggli, Leiter Amt für öffentlichen Verkehr beim Kanton St.Gallen. Im Fernverkehr zwischen Zürich und St.Gallen betrage die Fahrzeit «deutlich unter 60 Minuten», heisst es in der Botschaft. Die Züge von Zürich bildeten in St.Gallen «einen Anschlussknoten zur vollen und halben Stunde mit Anschlüssen an den Regionalverkehr Richtung Rheintal». Ruggli reagiert «verhalten optimistisch» auf die Botschaft: «Wir haben gegenüber der Vernehmlassungsvorlage etwas erreicht.»
Auch der St.Galler Ständerat und Verkehrspolitiker Paul Rechsteiner würdigt, «dass neben dem Kapazitätsausbau auf der Strecke Zürich–St.Gallen ausdrücklich eine Beschleunigung vorgesehen ist». Positiv sei auch, dass eine Leistungssteigerung der Strecke Winterthur–St. Gallen und ein Ausbau des Knotens St.Gallen versprochen werde. Offen sei allerdings, wie das konkret geschehen solle. «Das werden Kanton und Ständeräte in den nächsten Wochen klären müssen.» Rechsteiner vermisst eine versprochene Korridorstudie für die Perspektive der Linie Winterthur–St.Gallen inklusive Langfristaussagen für den Knoten St.Gallen: «Da müssen wir darauf drängen, dass sie auch umgesetzt wird.» Und es fehle ausserdem jeder Hinweis auf die Chancen, die sich aus der beschleunigten internationalen Verbindung Zürich–München ergeben – «dies in Kombination mit der Schnellverbindung München–Berlin». Da müsse man am Ball bleiben.
Dieses Motto schreibt sich auch der Buchser Stadtpräsident Daniel Gut auf die Fahne. Er hat 2017 die vorberatende Kommission präsidiert, die den Bericht der Regierung zum Postulat «Erreichbarkeit St.Gallen–Bodensee/Rheintal» beraten hat. Sie hatte sich einstimmig für den Vollknoten St.Gallen und eine schnelle Verbindung Zürich–St.Gallen ausgesprochen – «mit schlanken Anschlüssen ins Rheintal». Auf dieser Forderung werde man im Rheintal bestehen, sagt Gut: «Das muss auch für den Fernverkehr und nicht nur wie in der Botschaft angekündigt für den Regionalverkehr gelten.» Im Idealfall wünscht sich Gut «umsteigefreie Anschlüsse an den Rheintal-Express». Das will ihm Ruggli für die weiteren Verhandlungen mit den SBB allerdings nicht versprechen: «Wir erreichen im Rheintal die dafür nötigen Fahrzeiten nicht. Dafür brauchte es riesige Ausbauten.»
Auch Daniel Gut wertet das beim Bund «mit vereinten Kräften erreichte Etappenziel» als positiv. Wichtig ist dem Kantonsrat, dass man in St.Gallen die Knotenstruktur von Zürich, also die Zugsabfahrten je zur vollen und halben Stunde, übernimmt: «Die grossen Verbindungen sind alle so getaktet.» Der Vollknoten sei für die grösste Stadt in der Ostschweiz strategisch wichtig, «etwa für überregionale Themen wie eine Metropolitanregion».
Der Vater der Zürcher Durchmesserlinie, der pensionierte Verkehrsplaner Paul Stopper, kritisiert die Ausbaupläne der SBB. Die Ausbauten seien zu einseitig auf Zürich ausgerichtet. Die Kosten für den Brüttenertunnel seien gigantisch: «Er bringt der Ostschweiz gar nichts.» Via Wallisellen könnten rund fünf Minuten gewonnen werden, unabhängig davon, ob der Tunnel gebaut werde oder nicht. Stoppers Vorschlag: «Die Strecke Winterthur–Töss–Effretikon für 400 bis 500 Millionen Franken vierspurig ausbauen und die gesparten 2,3 Milliarden für echte Massnahmen in der Ostschweiz verwenden – für weitere Ausbauten im Rheintal und am Bodensee.»
Für knapp 12 Milliarden Franken will der Bundesrat bis 2035 das Schweizer Bahnnetz ausbauen. Er nahm aus der Vernehmlassung mehrere Anliegen auf: Gehör fanden insbesondere die Befürworter des weiteren Ausbaus des Lötschberg-Basistunnels. Die bereits im Rohbau erstellte zweite Röhre soll nun bahntechnisch ausgerüstet werden. Damit können Züge von Bern ins Wallis alle halbe Stunde verkehren und alle Güterzüge durch den Basistunnel fahren. Zusätzlich geplant sind auch Verbesserungen zwischen Basel, dem Jurasüdfuss und Genf. Es sollen direkte Züge ermöglicht und das Angebot durch den Jura verdichtet werden. Nicht berücksichtigt hat der Bundesrat den Durchgangsbahnhof Luzern, die trinationale S-Bahn Basel und die Direktverbindung Aarau–Zürich.
Im Personenverkehr soll der Bahn-Ausbauschritt 2035 landesweit mehr Kapazität bringen, unter anderem mit neuen Halbstunden- und Viertelstundentakten. Auf der Ost-West-Achse sind die Verbesserungen vor allem in der Genferseeregion und rund um Bern und Zürich geplant. Mehr Kapazitäten und kürzere Fahrzeiten sind auch im Netz für den Güterverkehr vorgesehen. (sda)