Justiz
So etwas hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben: Kampfwahl um einen Berufsrichter-Posten am Bezirksgericht Arbon

Gleich drei Männer wollen die Nachfolge von Ralph Zanoni antreten. Die Ausgangslage bei der Ersatzwahl am 25. September ist ganz anders als in den letzten Jahrzehnten. Die SP ist enttäuscht vom Verhalten von FDP und Mitte.

Markus Schoch
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Die SP geht mit Manuel Wunderlin ins Rennen und hatte vergeblich gehofft, die anderen Parteien würden ihr aufgrund der Wählerstärke den Sitz kampflos abgeben.

Die SP geht mit Manuel Wunderlin ins Rennen und hatte vergeblich gehofft, die anderen Parteien würden ihr aufgrund der Wählerstärke den Sitz kampflos abgeben.

Bild: PD

Wahlen am Bezirksgericht Arbon haben in der Vergangenheit keine hohen Wellen geschlagen. Es lief in der Regel immer nach demselben Muster ab: Wurde ein Sitz der ehemals drei und heute vier hauptamtlichen Richter frei, bewarb sich eine Gerichtsschreiberin oder ein Gerichtsschreiber ohne Konkurrenz dafür – und sie oder er schaffte den Karrieresprung problemlos. So war es 1988, als Claudius Graf-Schelling die Nachfolge von Rolf Weber antrat, und ebenso, als Ralph Zanoni zwölf Jahre später in die Fussstapfen des nachmaligen Regierungsrates Graf trat.

2006 war die Reihe an Gerichtsschreiber Dominik Diezi, 2016 an Gerichtsschreiberin Silke Sutter und 2019 an Gerichtsschreiber Marco Carletta. Ausnahmen von der Regel sind Urs Kaufmann und Mirjam Trinkler, die beide ohne Umweg als Gerichtsschreiber beziehungsweise Gerichtsschreiberin die Wahl schafften. Aber auch sie mussten sich keiner Kampfwahl stellen.

Gerichtsschreiber erhält diesmal Konkurrenz

Pascal Styger (FDP).

Pascal Styger (FDP).

Bild: PD

Bei der Ersatzwahl am 25. September ist vieles anders. Mit Pascal Styger bewirbt sich zwar einer der vier Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Arbon um die Nachfolge von Zanoni, der in Pension geht. Doch der 31-Jährige ist nicht alleiniger Kandidat. Ihr Interesse an der 60-Prozent-Stelle angemeldet haben ebenfalls Renato Forster (33) und Manuel Wunderlin (30), der ebenfalls Gerichtsschreiber ist, und zwar am Obergericht des Kantons Schaffhausen. Forster arbeitet aktuell bei einem grossen schweizerischen Unternehmen im Bereich Rechtsschutz.

Weitere Kandidaturen sind nicht ausgeschlossen. Die Meldefrist läuft am 2. August ab. Die SVP wird das Feld den drei anderen Parteien überlassen. «Wird sind am Bezirksgericht sowohl bei den Berufsrichtern als auch bei den Laienrichtern qualitativ sehr gut vertreten und werden deshalb nicht mit eigenen Kandidierenden antreten», sagt Bezirksparteipräsident Koni Brühwiler. So wie es aussieht, werden auch Grüne und GLP nicht antreten.

Renato Forster (Mitte).

Renato Forster (Mitte).

Bild: PD

Mit ein Grund für das Gerangel dürfte sein, dass Zanoni parteilos ist. Die Parteien müssen also nicht aufeinander Rücksicht nehmen, was sie zuletzt immer getan haben. Niemand machte der Mitte 2019 den Sitz von Diezi streitig, auf den Carletta folgte. Und die FDP konnte 2016 kampflos Kaufmann durch Sutter ersetzen.

SP beruft sich auf freiwilligen Proporz

Die SP hatte vergeblich auf Gegenrecht gehofft. Sie ist seit über 20 Jahren nicht mehr am Bezirksgericht Arbon mit einem Berufsrichter vertreten und will jetzt mit Wunderlin an die Tradition anknüpfen, die mit Claudius Graf-Schelling geendet hat. Doch bevor sie Wunderlin offiziell nominieren und damit das Feld abstecken konnte, hatte die FDP bereits die Kandidatur von Styger bekannt gemacht. Absprachen gab es keine. Auch nicht mit der Mitte, die ihr Glück mit Forster versucht.

Ihr Anspruch sei ausgewiesen, sagt Peter Gubser von der SP. Er beruft sich dabei auf den freiwilligen Proporz – also die Verteilung der Mandate nach Wählerstärke. Vor diesem Hintergrund stehe ihnen der Sitz von Zanoni viel eher zu als FDP und Mitte, die bereits mit Sutter beziehungsweise Carletta vertreten seien, sagt Gubser. Zum Vergleich: Bei der letzten Grossratswahl im Jahr 2020 holte die SVP im Bezirk Arbon 29,8 Prozent der Stimmen, die FDP 16,4 Prozent, die Mitte 13,2 Prozent, SP/Gewerkschaften 12,6 Prozent und die Grünen 12,3 Prozent.

Die SP ist mit ihrer Argumentation in guter Gesellschaft. Die SVP verwies ebenfalls auf die Wählerstärke, als sie 2010 Mirjam Trinkler aufs Schild hob. Diese bewarb sich damals um die Stelle, die nach der Bezirksreorganisation neu geschaffen worden war. Die Strategie der Volkspartei ging auf: Die anderen Parteien akzeptieren den Anspruch der SVP auf einen Sitz. Trinkler jedenfalls blieb ohne Gegenkandidatur und wurde gewählt.

FDP sagt: Partei spielt eine untergeordnete Rolle

Für FDP-Bezirksparteipräsident Philipp Gemperle gibt es keinen Grund, der SP beziehungsweise Wunderlin am 25. September allein aus wahlarithmetischen Gründen Platz zu machen. «Die Richterinnen und Richter am Bezirksgericht haben eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Die Partei spielt dabei eine untergeordnete Rolle.» Die Freisinnigen würden in der Person von Styger einen hervorragenden Kandidaten ins Rennen schicken. Er habe eine fundierte Ausbildung als Rechtsanwalt und breite Berufserfahrung gesammelt. «Als jetziger Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Arbon kennt er das Gericht und kann ab dem ersten Tag volle Leistung bringen», sagt Gemperle.

Für Gubser ist es wichtig, dass das Gericht ausgewogen zusammengesetzt ist, mit Personen unterschiedlicher Herkunft und Geisteshaltung. Die Parteizugehörigkeit sei Ausdruck dieser Diversität und habe Einfluss auf die Tätigkeit als Bezirksrichter. Erst kürzlich habe ihm eine ältere Frau erzählt, dass sie vor über 30 Jahren vom damaligen Gerichtspräsidenten und SP-Nationalrat Rolf Weber unterstützt worden sei bei der Scheidung von ihrem alkoholkranken Mann.

Bezirksgericht Arbon

Vier Berufsrichter

Am Bezirksgericht Arbon arbeiten aktuell vier Berufsrichter mit einem Pensum von insgesamt 320 Stellenprozenten. Gerichtspräsidentin ist Mirjam Trinkler (SVP, Arbon, 80 Prozent). Die drei Berufsrichter sind Marco Carletta (Mitte, Arbon, 90), Silke Sutter Heer (FDP, Arbon, 90) und Ralph Zanoni (parteilos, Arbon, 60). Neben den Berufsrichtern gibt es auch vier Laienrichter. (mso)