WEINFELDEN: Kein leichtes Leben

Die SP-Ortspartei wird 100. Ein Blick in die Protokollbücher zeigt, dass der Weg bis zur ernstzunehmenden politischen Kraft steinig war.

Esther Simon
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In den 1910er-Jahren kam diese Familie mit Sack und Pack im aufstrebenden Dorf an. Die Foto ist ein Dokument aus der Zeit, in der die Weinfelder Sozialdemokraten das Heft in die Hand nahmen und beschlossen, eine eigene Ortspartei zu gründen. (Bild: PD)

In den 1910er-Jahren kam diese Familie mit Sack und Pack im aufstrebenden Dorf an. Die Foto ist ein Dokument aus der Zeit, in der die Weinfelder Sozialdemokraten das Heft in die Hand nahmen und beschlossen, eine eigene Ortspartei zu gründen. (Bild: PD)

Esther Simon

esther.simon@thurgauerzeitung.ch

Die SP-Ortspartei ist eine ernst zu nehmende politische Kraft. Im 30-köpfigen Weinfelder Gemeindeparlament stellt sie aktuell zwar nur noch drei Vertreter, aber es ist doch festzustellen, dass aus dieser Ecke immer wieder gescheite und fortschrittliche Voten kommen. Die politischen Repräsentanten der Partei – Gemeinderätin Ursi Senn-Bieri sowie die Gemeindeparlamentarier Adrian Caramaschi, Hanspeter Hagen und Fritz Sreuli – werden über die Parteigrenzen hinaus geschätzt.

Dabei hatte die Sozialdemokratie im bürgerlich dominierten Weinfelden lange Zeit kein leichtes Leben, wie aus einem historischen Abriss, den die SP verfasst hat, hervorgeht.

Argumente mussten auf der Strasse verkauft werden

In der Chronik heisst es: «In Weinfelden war es oft nicht einfach, sozialen Ideen und Wünschen Geltung zu verschaffen und Mitstreiter zu finden. So wurde den anwesenden Genossen schon an der Gründungsversammlung nahegelegt, zur Hebung der Mitgliederzahl recht tüchtige Agitation zu betreiben. Protokolle von Versammlungen und Sitzungen zeugen davon, dass die politischen Resultate hart erkämpft, dass die Argumente auf die Strasse getragen und verkauft werden mussten, dass oftmalige Rückschläge mit

Beharrlichkeit beantwortet wurden.» Die historischen Wurzeln der Arbeiterbewegung in Weinfelden liegen – wie vielerorts in der Schweiz – im Schweizerischen Grütliverein.

Dieser Grütliverein fusionierte 1901 mit der SP. Da der Verein sich aber gegen die vollständige Integration in die Partei wehrte und 1916 den Austritt bekannt gab, beschloss man in Weinfelden «unsern Abschied vom Grütliverein, mit dem ein weiteres Marschieren unmöglich gemacht wurde» zu geben. Unter der Führung von «Präsidentgenosse Künzler» beschlossen die Weinfelder Genossen am 3. Februar 1917 im Restaurant Schweizerbund die Neugründung einer SP-Sektion.

Rote Kleckse auf der politischen Leinwand

«Die Situation der Arbeiterschaft hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusätzlich durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschlechtert. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Teuerung verursachten auch in der vom Krieg verschonten Schweiz speziell in den einkommensschwachen Schichten Mangel und Leid. Achtstundentag, Fünftagewoche und bezahlter Arbeitsurlaub, AHV und IV, Frauenstimmrecht – davon konnte die einfache Bevölkerung vor hundert Jahren nur träumen!», heisst es weiter in der Chronik. «100 Jahre später wurde vieles erreicht», zieht die Weinfelder Ortspartei Bilanz, «anderes bleibt pendent, muss neu gedacht werden. Und so bleibt die SP Weinfelden jung an Ideen, wie sie alt an Erfahrung ist. Immer bestrebt, weitere rote Kleckse auf der politischen Leinwand zu setzen.»