Im Dezember 1971 krachte im Thurgau die göttliche Ordnung zusammen. Die Männer gaben den Frauen das Stimm- und Wahlrecht. Im Dorf glaubte man schon, neue Wahllokale einrichten zu müssen. Doch es kam anders.
Esther Simon
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Das Liberty Cinema zeigt zurzeit den Film «Die göttliche Ordnung». Der Streifen erzählt den langen Kampf für das Frauenstimmrecht in der Schweiz. Tatsächlich waren viele Männer (und auch ein paar Frauen) der Überzeugung, eine Demokratie ohne Frauen sei von Gott gewollt. Im Dezember 1971 aber stimmten dann auch die Thurgauer für das Wahl- und Stimmrecht der Frauen (siehe Kasten).
Bereits am Donnerstag, 27. Januar 1972, konnten Weinfelderinnen an der Budgetversammlung der damaligen Munizipale, der heutigen Politischen Gemeinde, teilnehmen. Der ehemalige Gemeindeschreiber Martin Sax hat das Protokoll besorgt und der «Thurgauer Zeitung» überlassen. Darin heisst es, dass von den 2535 stimmberechtigten Frauen 139 (5,5 Prozent) anwesend waren, und von den 2194 stimmberechtigten Männern 237 (10,8 Prozent) der Versammlung folgten.
Der damalige Gemeindeammann und spätere Regierungsrat Arthur Haffter habe die Stimmbürgerinnen besonders begrüsst und der Hoffnung Ausdruck gegeben, «dass unsere Frauen in der Politik aktiv mitwirken und dadurch auch die Männer anspornen, sich wieder vermehrt um die Angelegenheiten der Gemeinde, des Kantons und des Bundes zu kümmern». Aufwand und Ertrag der Gemeinde beliefen sich damals auf 5,5 Millionen Franken. Heute sind es über 30 Millionen. Der Steuersatz der Gemeinde lag bei satten 90 Prozent, heute werden 60 Prozent verlangt. Im Anschluss fand die Versammlung der Primarschulgemeinde statt, die erstmals der neue Schulpräsident Hermann Lei, der spätere Gemeindeammann und Regierungsrat, leitete. In Thurgauer Schulgemeinden waren die Frauen bereits seit Januar 1969 wahl- und stimmberechtigt. Schon im April 1969 fanden in Weinfelden Schulwahlen statt, neben einer Gemeindeabstimmung. «Im Grossratssaal bot sich an der Urne ein neues und auch gefreutes Bild», schrieb der damalige Redaktor Hans Ruedi Fischer (fis.) im «Thurgauer Tagblatt». 1014 Schulbürgerinnen oder 39,1 Prozent der stimmberechtigten Frauen beteiligten sich am Urnengang, bei den Männern waren es 55,8 Prozent. Die Stimmbeteiligung lag bei 46,4 Prozent. Im Vorfeld der Schulwahlen, im März, hatten die katholischen Parteien des Dorfes «über den Wahlvorgang bei der ersten Frauenabstimmung vom 20. April» informiert. «Entweder müssen neue Stimmlokale oder verlängerte Wahlzeiten eingesetzt werden, um den bedeutend grösseren Wahlgang ruhig abwickeln zu können», hatte Präsident Holenstein in der Begrüssung gesagt. Im Anschluss erläuterte Gerichtspräsident Franz Norbert Bommer das bald hundertjährige Unterrichtsgesetz. Das Gesetz sei «ein typisches Beispiel der Zähflüssigkeit der Demokratie, in der so manches reliquienhaft anmutet».