Weder Mütze, Schal noch Handschuhe – und alle schauen

Ich stehe an einer Fussgängerampel im Zentrum Tallinns. Links und rechts einige Leute, ebenso auf der anderen Strassenseite. Alle schauen mich an. Ein kleines Kind zeigt mit dem Finger auf mich und fragt seine Mutter etwas. Ich wundere mich über die neugierigen Blicke.

Stefan Kuhl
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Ich stehe an einer Fussgängerampel im Zentrum Tallinns. Links und rechts einige Leute, ebenso auf der anderen Strassenseite. Alle schauen mich an. Ein kleines Kind zeigt mit dem Finger auf mich und fragt seine Mutter etwas. Ich wundere mich über die neugierigen Blicke. Ich denke, dass ich doch nicht so anders aussehe und schon länger hier wohne, mich also einigermassen angepasst habe.

Als ich die Strasse überquert habe, dämmert mir, warum ich gerade wie ein bunter Hund beachtet wurde: Der Reissverschluss meiner Jacke war offen, und ich trug keinen Schal!

Ich kam gerade vom Training und schloss die Session mit einem langen Saunabesuch ab. Dementsprechend hitzig war mir zumute. Draussen herrschten knapp vier Grad.

Dieser Winter ist ausserordentlich mild. Bislang gab es genau eine Woche, in welcher es wirklich kalt war und die Temperatur tagsüber nicht über minus zehn Grad stieg. Letztes Jahr lag von Oktober bis März Schnee, und fast genauso lang gab es Minustemperaturen.

Der Este aber beginnt mit dem Wegräumen der Badehose seine Fellmütze zu tragen und legt sie erst ab, wenn der Osterhase alle Eier verteilt hat. Ob minus zehn oder plus fünf Grad macht keinen Unterschied: Ein dicker Wintermantel, Mütze, Handschuhe und ein leidender Gesichtsausdruck gehören zum Strassenbild.

Als Ausländer bin ich ins Fettnäpfchen getreten und habe diese Kleiderordnung missachtet. Ignorant spaziere ich in meiner Frühlingsjacke umher, trage keinen Schal, und Handschuhe besitze ich keine. Dementsprechend exotisch muss ich wohl gewirkt haben, als man gar meinen Pulli sehen konnte – wie ein Pinguin auf Mallorca.