Im Locorama präsentierten Studierende der Universität Tübingen gestern ihr Buch zum Thema «Region Bodensee». Am anschliessenden angeregten Podiumsgespräch wurde darüber diskutiert, welche Bedeutung der Region zukommt.
Angehende Kulturwissenschafterinnen und -wissenschafter der Universität Tübingen setzten sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeit mit der Region Bodensee auseinander. Wie wird die Region wahrgenommen, was für eine Bedeutung kommt ihr zu, und wie hat sie sich im Laufe der Zeit entwickelt, lauten die zentralen Fragestellungen. Interviews mit Politikern, Beamten, Künstlern, Umweltaktivisten, Touristen und Anwohnern bildeten die Grundlage der Forschung. Die Studentinnen und Studenten fassten ihre Erkenntnisse schliesslich in einem Buch zusammen: «GrenzRaumSee – eine ethnographische Reise durch die Bodenseeregion».
Die Studenten Patrick Ritter und Käthe Hientz führten anschliessend an die Buchpräsentation die Podiumsdiskussion mit Vertretern aus den drei Bodenseeländern. Der Thurgauer Regierungsrat Claudius Graf-Schelling vertrat die Schweiz und sprach auch in seiner Funktion als Vorsitzender der Internationalen Bodensee-Konferenz. Thomas Willauer, Herausgeber des «Bodensee-Magazins», kam für Deutschland, und Lucia Studer, eine Soziologin, die sich für mit dem Bezug Jugendlicher und junger Erwachsener zur Bodenseeregion beschäftigt, stand für Österreich. Einstieg in die Diskussion war die «Seegfrörni» 1963: Waren die Grenzen zwischen den Ländern damals aufgehoben? Regierungsrat Claudius Graf-Schelling wohnte damals in Arbon und hat die «Seegfrörni» miterlebt. «Es war ein sehr kalter Winter. Bis dahin war es kaum vorstellbar, dass der See einmal zufrieren sollte.» Ende Februar war es dann so weit, über den See zog sich eine dicke, begehbare Eisschicht. «Langenargen war auf einmal nicht mehr so weit weg, ich bin immer wieder mit den Schlittschuhen oder dem Fahrrad über den See gefahren.» Bezeichnendes Erlebnis für Graf-Schelling war, dass sein Vater ihm einmal ein Bild mitgegeben hat, mit dem Auftrag, es dem Bürgermeister von Langenargen zu überbringen. Die Geste führte zu einem Briefwechsel zwischen Langenargen und Arbon. «Die <Seegfrörni> hat den See übergreifend zu Kontakten geführt, die noch heute bestehen.»
Mit dem Tauwetter schmolz das Eis, und die Distanz zwischen den Ländern vergrösserte sich wieder. Dennoch empfanden 2007 laut einer Teilbefragung 63 Prozent der Bewohner der Uferregion die Bodenseeregion als Einheit, erklärte Lucia Studer. Der Bodensee selbst sei dabei ein wichtiges identifikationsstiftendes Merkmal. Sprachliche und kulturelle Übereinstimmungen sowie die gemeinsame Herkunft und Mentalität würden ebenfalls eine Region ausmachen, erklärt die Soziologin. Auch Touristen nähmen den Raum Bodensee als eine Einheit wahr, führt Thomas Willauer an.
Claudius Graf-Schelling spricht den Studierenden der Universität Tübingen grosses Lob aus für ihr Buch, weist aber darauf hin, dass die Kommunikation zwischen den Ländern nicht so schlecht funktioniere wie beschrieben. «Wir haben die Telefonnummern der anderen.» Thomas Willauer meint darauf, dass die Internationale Bodensee-Konferenz aber noch viel mehr machen müsste, um die öffentliche Rolle als Bindeglied zwischen den Ländern wahrzunehmen. Ernst Mühlemann, Vizepräsident des Bodenseerats, sitzt im Publikum. Er meint, dass erst Probleme wie zu viel Grenzkontrolle angegangen werden müssen, um eine starke Region zu bilden. Hansueli Stettler, ein weiterer Votant aus dem Publikum, meint hingegen: «Der Bodensee ist gross, die demographische Grenze besteht, denn Wasser ist nun mal nicht begehbar.»
Hermann Hess, Präsident des Verwaltungsrats der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt, sitzt ebenfalls im Publikum und äussert sich dahingehend, dass die Seeregion früher viel eher Region war als heute, weil die Wasserwege im Vergleich zu den Landwegen schneller waren. Um die Region zu stärken, brauche es eine Schnellstrasse oder eine durchgehende Zugverbindung rund um den See. Jedenfalls müsse man aus der Verschiedenheit das Attraktive ziehen und nicht Gemeinsamkeiten herbeireden. Graf-Schelling schliesst mit den Worten: «Teilen wir die Region doch nicht nach Unterschiedlichkeiten auf, sondern halten wir an Überschneidungen fest.»