Ratten nagen an der Kunstgrenze

Der Konstanzer Künstler Johannes Dörflinger wünscht sich eine grössere Wertschätzung für die 22 Tarot-Figuren auf Klein Venedig. Nach Veranstaltungen auf deutscher Seite des Areals, hätten sich Nagetiere in den Sockeln angesiedelt.

Michael Lünstroth/Südkurier
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Künstler Johannes Dörflinger ärgert sich über den ungepflegten Zustand der Wiese um die Tarot-Figuren auf der deutschen Seite der Kunstgrenze. (Bild: Claudia Rindt)

Künstler Johannes Dörflinger ärgert sich über den ungepflegten Zustand der Wiese um die Tarot-Figuren auf der deutschen Seite der Kunstgrenze. (Bild: Claudia Rindt)

KONSTANZ. Es ist Grenzverkehr der eher ungewöhnlichen Art: Auf dem Gebiet Klein Venedig, tummeln sich derzeit verstärkt Ratten. Bis zu zwanzig Tiere sollen sich nach Angaben der Stadtverwaltung Konstanz hier angesiedelt haben. Offenbar haben die Nager einen gewissen Kunstsinn entwickelt: Ihre Nester sollen sie in den Sockeln der Skulpturen von Johannes Dörflingers Kunstgrenze gebaut haben.

2006 wurde an dieser Stelle der Grenzzaun zwischen Deutschland und der Schweiz zerschnitten, seit April 2007 markiert die Kunstgrenze den Verlauf der Landesgrenzen beider Staaten. Die meterhohen, rot schimmernden Werke tragen Namen wie Magier, Heiliger und Herrscherin und sollten die Bedingungen der menschlichen Existenz symbolisieren. Von Ratten war indes nie die Rede.

Kreuzlingen pflegt besser

An einem Montag im Februar geht Johannes Dörflinger den Weg entlang seiner 22 Skulpturen. Sein Blick haftet am Boden, er betrachtet vor allem die grauen Sockel seiner Arbeiten. Durch kleine Öffnungen in Bodennähe, die eigentlich nur dazu dienten, die Edelstahl-Skulpturen vor Rost zu schützen und Kondenswasser von innen nach aussen laufen zu lassen, sollen die Ratten den Weg in die Skulpturen gefunden und sich dort Nester gebaut haben. Dörflinger ist skeptisch. «Ich weiss nicht, ob das das wirkliche Problem ist», sagt der Künstler. Aus seiner Sicht wäre das alles nicht passiert, wenn sich die Stadt Konstanz ähnlich sorgsam um sein Werk kümmern würde, wie es Kreuzlingen tut. «Sie müssen nur mal vergleichen, wie die Flächen auf deutscher Seite und wie sie in der Schweiz aussehen.» Tatsächlich ist der Unterschied auffällig: Auf Kreuzlinger Seite feiner Rasen um die Kunst, auf Konstanzer Seite von schweren Lastwagen zerfurchter Lehmboden, vereinzelt liegt Müll herum. «Es weiss doch jeder, wo Müll ist, sind bald auch Ratten», merkt Dörflinger an. Alles also nur ein deutsches Problem?

Unterschiedliche Nutzung

Fragt man in Kreuzlingen nach Ratten an der Kunstgrenze, dann heisst es nur: «Wir haben damit keine Probleme», wie Stefan Braun, der Kreuzlinger Umweltbeauftragte, erklärt. Hintergrund dieser unterschiedlichen Entwicklung ist auch die verschiedene Nutzung des Grenz-Areals. Während auf Kreuzlinger Seite ein Sportplatz angrenzt, wird in Konstanz Klein Venedig intensiv für Veranstaltungen wie das Oktoberfest genutzt. Da bleiben schon mal Essensreste und Müll zurück, was die gefürchteten Nager anlockt.

Den Ratten den Zugang sperren

Gleichwohl wollen beide Städte die Ratten jetzt gemeinsam bekämpfen. Der Einsatz von Giftködern zur Tötung der Rattenpopulation wurde zwar inzwischen verworfen. Für einen mittleren vierstelligen Betrag sollen aber die Lüftungsschächte an den Skulpturen so verschlossen werden, dass Kondenswasser zwar weiter rausfliessen, aber keine Ratten mehr eindringen können. Für Johannes Dörflinger ist der Plan unsinnig. «Das Geld sollte man lieber in die Pflege des Geländes investieren. Das wäre nachhaltiger.» Die Stadt Konstanz weist den Eindruck zurück, sie kümmere sich zu wenig um die Kunstgrenze: «Der Rasen wird etwa achtmal im Jahr gemäht, Abfälle werden ein- bis zweimal pro Woche entfernt», erklärt ein Sprecher der Stadt. Einen Zusammenhang zwischen Müll von Grossveranstaltungen und den Ratten sieht man in Konstanz nicht. Dörflinger geht es letztlich auch um Wertschätzung. «Das hier ist die weltweit einzige Kunstgrenze, ein bisschen mehr Respekt ist da doch nicht zu viel verlangt.»