ARBON. In seiner Zunft ist Thierry Carrel eine internationale Kapazität. Der Direktor der Uniklinik für Herz- und Gefässchirurgie am Inselspital Bern hat die rasante Entwicklung der Herzchirurgie massgeblich mitgeprägt. Mit Gattin Sabine Dahinden war er Gast der SVP am Seegarten-Meeting.
Dem Freiburger mit welschem Charme eilt – wider Willen – Starruf voraus. Wiederholt betont er die Leistung des Teams. Nationale Bekanntheit erlangte der Herzchirurg, als er vor fünf Jahren den damaligen Bundesrat Hans-Rudolf Merz nach dessen Infarkt erfolgreich am offenen Herzen operierte und ihm fünf Bypässe setzte.
Dass er es war, der damals den Eingriff vornahm, sei Zufall gewesen – weil er an just jenem Tag Dienst gehabt hatte, gibt der 53jährige Freiburger am Seegarten-Meeting der SVP vielschichtige und auch intime Einblicke in seine Arbeit. Er liebt sie – und er lebt sie spürbar. Mit Leidenschaft, mit Herzblut.
Nicht selten kommen da hundert Stunden in der Woche zusammen. Es ist seine Berufung, die Errungenschaften der Herzchirurgie für die Menschen nutzbar zu machen – «im Kampf ums Leben». Dabei müsse auch geübt sein, mit Misserfolgen umzugehen. Trotz allen Fortschritts bleibe ein Restrisiko. «Und es ist so: Jeder Todesfall belastet.»
Dennoch: Vieles, was heute möglich ist und meist gelingt, fast schon wie selbstverständlich, war noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar. 70 Prozent aller Fälle von akuten Herzinfarkten endeten vor 40 Jahren mit Todesfolge, heute verstirbt noch jeder zehnte Betroffene. Und auch bei Kleinkindern mit schweren Herzfehlern, diagnostiziert vor der Geburt, sei die Überlebenschance von 10 auf heute 95 Prozent markant gestiegen. Die Methoden der künstlichen Gefässerweiterung «von der Salzdiät zur Katheterbehandlung» seien revolutioniert worden, führt Carrel vor Augen.
Die Industrie ermöglichte den Fortschritt, der unbeschränkt sei, mit neuen Technologien, immer besseren Implantaten bis hin zu einer Zündholz-grossen Kreislaufpumpe und einem Arsenal von Medikamenten – auch im Bereich der Prävention. Damit sei auch die Nachsorge wichtig geworden.
All diese Errungenschaften verlängerten die Lebenserwartung, die heute durchschnittlich 80 Jahre betrage, um zehn Jahre gegenüber noch 1965. Die «Umkehr der Alterspyramide» belaste aber auch das System und wecke Ansprüche, verkennt Carrel nicht. So betrachtet, sei man gewissermassen «Opfer des Erfolges» geworden. Fragen der Ökonomie würden sich mit Fragen der Ethik vermischen. Manchmal tauscht er sich mit Mönchen im Kloster aus, denen er freundschaftlich verbunden ist.
Klar scheint Carrell, dass 16 Herzchirurgien – neben den grossen auch kleinere mit dem Nachteil der fehlenden Vernetzung – in der Schweiz auf längere Sicht nicht haltbar seien. «Noch schützt die Politik den Kantönligeist. Das ist ein heikles Thema – es wird wegen der Kostenexplosion auf den Tisch kommen müssen.»
Bevor er Medizin studierte, hatte sich Carrel der Philosophie zugewandt. In jungen Jahren hatten ihn die Schlagzeilen zu den ersten Herztransplantationen fasziniert, die der Südafrikaner Christian Barnard durchführte. Thierry Carrell wollte zuerst Hausarzt werden, verrät er im Talk mit Andrea Vonlanthen und zwischen Vorträgen des blinden Pianisten Gerd Bingemann. Den Hausärzten gegenüber mit ihrer Verantwortung zolle er hohe Achtung, sagt Carrel. Sein Weg hat ihn dann doch anderswohin geführt: Er habe sich «für ein Organ entschieden, dies aber in seiner ganzen Tiefe». Mittlerweile hat Carrell unzählige Herzoperationen durchgeführt. Er stehe zwar im Inselspital «als Kapitän auf der Brücke», ist aber stolz auf sein ganzes Team. Dass sehr gute Spezialisten nachrücken, ist nicht zuletzt sein Verdienst: Kürzlich ist Carrel als bester Ausbildner Europas ausgezeichnet worden.
Trotz hoher Belastung begleite ihn die Freude bei der Arbeit. Thierry Carrel findet trotz vollem Terminkalender Zeit, in einem Blassinfonieorchester zu spielen – und für Spaziergänge mit Sabine Dahinden der Aare entlang. Mit der Fernsehmoderatorin, die nach Bern pendelt und den Weg vom Leutschenbach auch ostwärts in den Arboner Seegarten noch findet, ist er seit drei Jahren – in zweiter Ehe – verheiratet. Gefunkt hatte es während einer Spitalreportage. Was der Gesundheit übrigens nicht abträglich sei, im Gegenteil: ein Glas Rotwein und schwarze Schokolade.