Soll die Schweiz das Stimmrecht ab 16 Jahren einführen? An der Kanti diskutierten zwei Schüler mit den Nationalräten Edith Graf-Litscher und Markus Hausammann.
Nicole D’Orazio
nicole.dorazio@thurgauerzeitung.ch
Jugendliche in der Politik – hot or not?: Sollen bereits 16-Jährige abstimmen dürfen? Frédéric Urech, der letzten Sommer die Matura gemacht hat, interessiert sich schon länger für das Thema und hat zusammen mit der Kanti Kreuzlingen ein Podium am frühen Mittwochabend organisiert. «Die Kanti ist der perfekte Ort dafür», sagt Urech. Neben Nationalrätin Edith Graf-Litscher (Pro/SP) und Nationalrat Markus Hausammann (Kontra/SVP) diskutieren die beiden 17-Jährigen Schüler Marco di Giuseppe (Pro) und Samuel Keller (Kontra). Leider hält sich das Interesse der Schüler sowie der Öffentlichkeit in Grenzen. Die Teilnehmer lassen sich davon jedoch nicht entmutigen.
«Wahlrecht ab 16 Jahren bedeutet mehr Demokratie und mehr Teilnehmer», sagt Graf-Litscher. «Die Jungen sind in der Politik untervertreten, aber genug intellektuell und sozial kompetent, um abzustimmen.» So könnten die Jugendlichen früh Verantwortung übernehmen und den Staat mitgestalten. «In Österreich hat man uns das vorgemacht.»
«Die Jungen wissen heute mehr über Politik als ich damals», findet Hausammann. «Jedoch gehören zum Stimmrecht auch Pflichten. Zum Beispiel in die AHV einzuzahlen. 18 Jahre ist das richtige Alter, meiner Meinung nach. Ich musste noch bis 20 warten.» Jedoch weise die Altersgruppe von 18 bis 25 die tiefste Stimmbeteiligung auf. «Die Gemeinden und der Bund haben einen grossen Aufwand mit der Vorbereitung von Versammlungen oder Abstimmungen. Dann folgt bei der Stimmbeteiligung die Ernüchterung. Das sieht man auch heute am Zuschaueraufmarsch.» Es könne nicht sein, dass man die Stimmbürger sozusagen an der Hand nehmen und zur Urne führen müsse. Es brauche Eigeninitiative.
Samuel Keller hat Zweifel, ob 16-Jährige schon mit der Verantwortung umgehen können und über die nötige Bildung verfügen. «Demokratie muss man lernen.» Natürlich würde er gerne abstimmen, doch er wolle nun zuerst in der Kirchgemeinde oder in seinem Verein partizipieren und Erfahrungen sammeln, sagt er. «Mit 16 hat man auch andere Interessen. Das Wichtigste ist, den passenden Beruf zu lernen oder die richtige Ausbildung zu machen.» Erst danach wolle man fürs Land schauen.
«Das sehe ich anders. Wie sollen wir sonst ernst genommen werden?», fragt Marco di Giuseppe. «Wenn ich meine Stimme in die Urne legen kann, dann weiss ich, dass sie ankommt und gilt.» Er habe auch schon am Europäischen Jugendparlament teilgenommen. Aber niemand wisse, was mit dem Papier passiere, das die Jugendlichen ausarbeiten. Das störe ihn. Vorbereitet seien die Kantischüler für die Abstimmungen. «Wir nehmen jede Initiative durch und wissen Bescheid», sagt di Giuseppe weiter. «Es ist wichtig, dass die Schule die Jugendlichen schon früh vorbereitet. So ist allen klar, um was es geht.»
Auch Hausammann findet, dass der Staatskunde-Unterricht sehr wichtig ist und die Jugendlichen auf die Politik vorbereiten sollte. Keller ist der Meinung, dass es zu wenig Staatskunde-Lektionen gibt. Laut einem Lehrer würden es wegen des Lehrplans 21 noch weniger. Das sei schlecht. «Die EU haben wir im Unterricht genau angeschaut, aber das Schweizer System nicht. Dieses müsste man doch schon in der Sekundarschule durchnehmen.»
Ein junger Mann aus dem Publikum ärgert sich, dass Junge nicht wählen dürfen, Senioren über 90 Jahre aber schon. So würden Leute die Zukunft mitbestimmen, die die Konsequenzen nicht mehr tragen. «Eine Altersguillotine wäre sehr gefährlich», findet Edith Graf-Litscher. «Bei einer Abstimmung sollte das Spektrum des ganzen Volkes abgebildet werden.» Abzustimmen sei ein wunderbares Recht, sagt di Giuseppe. «Ich bin daher dagegen, Leute davon auszuschliessen.» Auch Keller will das nicht. «Ich diskutiere gerne mit Älteren, zum Beispiel meinen Grosseltern. Sie haben viel Erfahrung.»