ROMANSHORN. Morgen feiert Wilhelmine Fischer ihren 100. Geburtstag. Sie findet, dass sie in Tat und Wahrheit jünger aussieht und verrät, was sie dem Gemeindeammann bei seinem Besuch sagen wird.
Eine gepflegte Erscheinung ist sie, Wilhelmine – genannt Miny – Fischer. Zwei Armreife trägt sie, ihre Fingernägel sind rot angestrichen. Kunststück: «Ich wuchs in die Haute couture, in die Damen-Modebranche, hinein. Und dann war ich Mannequin in Paris», erzählt sie dem Besucher stolz bei einem Gläschen Wein, kaum hat das Gespräch begonnen. Gross und schlank sei sie gewesen. Und sei es heute noch. «Aber um Mode vorzuführen, bin ich jetzt viel zu alt», lächelt sie verschmitzt.
Die grossen Linien aus ihrem Leben sind es, die Wilhelmine Fischer aus ihrer Erinnerung noch nachzeichnen kann: Geburt am 12. Oktober 1908, das Aufwachsen in Zürich, ihre Tätigkeit in der Modebranche und die relativ spät eingegangene Ehe mit einem Notar, die kinderlos bleiben sollte. «Ich habe es schön gehabt, war gesund und immer zufrieden», hält sie rückblickend fest. Besonders gut habe ihr die Zeit in Frankreich gefallen. Auch daran, dass sie zwei Weltkriege erlebt hat, erinnert sich die aktuell älteste Bewohnerin der Alterswohnstätte Holzenstein: «Zum Glück wurde die Schweiz nicht reingezogen – wir mussten einfach auf einiges verzichten.»
«Was, 100 Jahre alt werde ich am Sonntag? Das ist ja verrückt!», sagt Wilhelmine Fischer, als sie auf ihren grossen Tag angesprochen wird. Sie legt eine Hand auf den Arm des Besuchers und fügt an, sie finde, dass sie jünger aussehe. «Ich würde auch lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich wie 100 fühle – ich sehe mich nicht als Greisin», sagt sie. Jeden Tag trinkt die Jubilarin in der Alterswohnstätte ihr Gläschen Wein und war auch früher keine Kostverächterin: «Ich ass und trank gerne und war oft in Gesellschaft – ich hockte nicht gerne alleine in einer Ecke», beschreibt sie ihr ganz persönliches Rezept zum Altwerden.
Wie alt möchte Wilhelmine Fischer werden? Als sie von einer Betreuerin scherzhaft gefragt wird, ob 200 Jahre ein Ziel für sie wären, ruft sie empört: «Nein, wo denken Sie hin! In einem, zwei Jahren geht es wohl abwärts.» Ans Sterben habe sie aber noch nie gedacht, fügt die Seniorin an. Sie sei evangelisch getauft und werde auch evangelisch beerdigt. Was nachher komme, beschäftige sie nicht gross, zumal sie nicht sehr religiös sei: «Wenn ein Mensch tot ist, ist er tot – zurückgekommen ist noch niemand», stellt sie fest.
Wilhelmine Fischers Alltag in Holzenstein: Sie steht jeweils gegen 10 Uhr auf – «ich war nie eine Frühaufsteherin». Dann frühstückt sie und sitzt in der Folge mit ihren Kolleginnen zusammen. Die Gespräche drehen sich vorwiegend um den Alltag in der Alterswohnstätte. Dass Wilhelmine Fischer morgen Sonntag Besuch vom Gemeindeammann erhalten wird, freut sie: «<Grüss Gott, Herr Gemeindeammann! Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen!», will sie zu ihm sagen. Und als sie auf ihre Frage hin erfahren hat, wie alt Norbert Senn in etwa ist, fügt sie spitzbübisch an: «Im besten Alter also!»