Ende Monat geht Urs Haubensak nach 24 Jahren am Kreuzlinger Bezirksgericht in Pension. Der scheidende Präsident über sein Interesse am Menschen, emotional schwierige Fälle und sein Harmoniebedürfnis.
Herr Haubensak, sind Sie jemand, der sich auf die Pensionierung freut?
Urs Haubensak: Ehrlich gesagt fühle ich mich gerade etwa so wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeug loslassen muss. Ich bin gleichzeitig sehr dankbar, dass ich diese Aufgabe so lange machen durfte. Ich habe nie die Tage runtergezählt, wie das andere anscheinend machen.
Sie waren 24 Jahre lang Richter. War das immer Ihr Berufswunsch?
Haubensak: Ich erinnere mich, dass ich als Maturand in einem Formular als Berufswunsch Friedensrichter angegeben habe. Als ich dann erstmals im Rahmen von Praktika am Gericht tätig war, war für mich klar, wo ich hin möchte. Ja, für mich war es ein Traumjob.
Dabei assoziiert man mit dem Gericht ja nicht viel Positives. Die Kundschaft ist schwierig, es geht um Streitereien – was ist daran so toll?
Haubensak: Das stimmt, wir Richter sind quasi die Eventmanager des Negativen. Mir gefällt meine Arbeit aber aus zwei Gründen: Ich entscheide gerne, und ich gehe gerne mit Leuten um. Ich wollte immer etwas über die Menschen erfahren und wenn irgendwie möglich die Parteien zu einer Einigung bringen. Eine Lösung erarbeiten, die für beide Seiten stimmt. Das ist mir oft auch gelungen. Und deswegen habe ich auch immer gerne in der ersten Instanz gearbeitet. Hier menschelt es am meisten.
Einen grossen Teil Ihrer Arbeit machten Scheidungen aus. Haben Sie das gerne gemacht?
Haubensak: Ja, bei Scheidungen lernt man die Menschen kennen, das ist wirklich so. Knapp die Hälfte meiner Arbeitszeit habe ich mich mit Familienrecht beschäftigt. Das Spannende an den Scheidungen ist auch, dass hier der Richter alles selber machen kann. Bei den Straffällen bereitet ja die Staatsanwaltschaft die Abklärungen zum Sachverhalt vor. Das Gericht urteilt nur noch.
Gab es Fälle, die Ihnen in Erinnerung bleiben, weil sie besonders schwierig waren?
Haubensak: Ja, bei einem ging es auch um ein Scheidungsverfahren. In diesem hat ein Vater seine zwei Kinder so sehr instrumentalisiert, dass sie ihre Mutter nicht mehr sehen wollten. Wir konnten nicht einmal mehr das Besuchsrecht durchsetzen. Das war ganz schwierig. Als Vater dreier Kinder ist so etwas für mich menschlich nicht nachvollziehbar.
Und aus dem Bereich des Strafrechts?
Haubensak: Da hat mich der Fall des Tötungsdeliktes am Ekkharthof lange beschäftigt, wo eine Bewohnerin eine andere niedergestochen hat. Bei der Beurteilung dieser Tat waren wir stark auf psychiatrische Gutachten und Prognosen angewiesen. Es gab viele offene Fragen, die wir einfach nicht beantworten konnten. Bei anderen prominenten Fällen ist die Fratze des Bösen offensichtlicher. Darum haben wir uns damals auch für die kleine Verwahrung entschieden, die alle fünf Jahre überprüft wird.
Mir ist als Gerichtsberichterstatterin aufgefallen, dass Sie oft eher milde Urteile gefällt haben. Sie waren ein sehr menschlicher Richter.
Haubensak: Mir ist bewusst, dass jeder Mensch Schwächen hat. Und finde es wichtig, dass jeder eine zweite Chance bekommt. Ja, im Zweifelsfall habe ich eher bedingte Strafen ausgesprochen, um Personen nicht aus dem Umfeld und Arbeitsleben zu reissen.
In der Öffentlichkeit herrscht aber vielfach die Meinung vor, die Gerichte gingen zu milde mit Straftätern um.
Haubensak: Diese Wahrnehmung hat sich über die Jahre sehr verändert. Früher hörte man eher, es seien zu harte Urteile gefällt worden. Heute kritisiert man, sie seien zu mild. Die Gesellschaft hat zunehmend Mühe, Menschen Fehler zu verzeihen.
Aber man hat doch den Eindruck, es gebe immer mehr Straftaten, mehr Einbrüche, Gewaltdelikte und so weiter.
Haubensak: Die Statistik sagt da etwas anderes. Die Anzahl der Verurteilungen hat sich nicht verändert. Aber es werden längere Strafen ausgesprochen. Die Öffentlichkeit hat wegen der vielen neuen Kanäle, die News verbreiten, den Eindruck, die Welt sei unsicherer geworden.
Aha, aber das stimmt gar nicht?
Haubensak: Nein, aus meiner Sicht nicht. Mindestens nicht hier, wo wir leben.
Es gibt also keine Entwicklung, die Ihnen Sorge bereitet?
Haubensak: Doch. Wir haben ein Zuviel an Vorschriften. Im Beruf des Richters wird der Ermessensspielraum dadurch immer mehr eingeschränkt, und für die Betroffenen ist die Situation sehr unübersichtlich.
Herr Haubensak, jetzt hatten Sie so viele Jahre lang das letzte Wort. Sind Sie eigentlich privat auch so?
Haubensak: Nein, ich bin keiner, der vorne hinsteht und sagt, wo es lang geht. Ich habe auch ein ziemlich grosses Harmoniebedürfnis. Aber vielleicht müssen Sie das am besten meine Frau in einem Jahr fragen (lacht).