Ein Egnacher regiert in Deutschland

EGNACH. Thomas Schärer leitet die Geschicke der deutschen Kreisstadt Sigmaringen: Vor einem Jahr wurde er an die Spitze der Stadt gewählt. Obwohl gebürtiger Schweizer, klappte es bereits im ersten Anlauf. In seiner Wahlheimat fühlt er sich wohl.

Maya Mussilier
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Thomas Schärer vor dem Rathaus: In Sigmaringen hat der Bürgermeister seine zweite Heimat gefunden. (Bild: Maya Mussilier)

Thomas Schärer vor dem Rathaus: In Sigmaringen hat der Bürgermeister seine zweite Heimat gefunden. (Bild: Maya Mussilier)

Geht Thomas Schärer durch die Altstadt von Sigmaringen, wird er an fast jeder Ecke mit einem freundlichen «Grüss Gott, Herr Bürgermeister» begrüsst. Nichts Aussergewöhnliches eigentlich in der deutschen Hohenzollernstadt, wo man sich noch ganz selbstverständlich mit den Amtstiteln anspricht.

Das Besondere daran ist, dass der 48-Jährige ein gebürtiger Schweizer ist – in Egnach aufgewachsen und erst seit drei Jahren im Besitze eines deutschen Passes. Trotzdem konnte er sich vor einem Jahr bei der Wahl zum Bürgermeister von Sigmaringen gegen sechs Mitbewerber – eine Frau und fünf Männer – auf Anhieb durchsetzen. Die Stadt schenkte ihm ihr Vertrauen für eine Amtszeit von acht Jahren mit stolzen 54 Prozent der Stimmen.

In Egnach aufgewachsen

Aufgewachsen ist Thomas Schärer in Egnach, wo er seine gesamte Schul- und Jugendzeit verbracht hat. Nach der Kantonsschule in Romanshorn zog es den jungen Mann an die Universität in Fribourg, wo er Jura als Hauptfach und Journalistik als Nebenfach studierte.

Anfang 1985 brach er sein Studium aber ab, um sich einer neuen Tätigkeit beim Schweizerischen Bankverein im Medienbereich zu widmen. Diverse berufliche Stationen folgten. «Ich wollte Verschiedenes sehen, bin der Linie aber treu geblieben. So habe ich immer mit Medien zu tun gehabt und mich intensiv für Wirtschaftsfragen interessiert.»

Davon profitiert Thomas Schärer noch heute. Gerade Sigmaringen sei ähnlich dem Thurgau eine wirtschaftliche Randregion, die es weiterzuentwickeln gelte.

Wechsel nach Deutschland

Auf verschiedene Anstellungen folgte für Thomas Schärer im Jahr 2002 der Schritt in die Selbständigkeit. Doch damit ist er nie richtig glücklich gewesen, und als er zwei Jahre später bei einem Besuch des Grossvaters seiner aus Deutschland stammenden Frau Antje die Ausschreibung für die Stelle eines Wirtschafts- und Tourismusförderers in Ludwigsburg las, entschloss er sich für eine Bewerbung. «Zwar waren wir durch unsere in Sigmaringen lebenden Schwiegereltern und die vielen Freunde hier mit der Region schon stark verbunden», erzählt Thomas Schärer, doch habe er nicht gewusst, wie er sich für diese Stelle bewerben sollte.

«Ein Freund, der zu dieser Zeit als Erster Bürgermeister von Kirchheim/Teck amtete, riet mir, den zuständigen Oberbürgermeister einfach anzurufen und, weil er diesen persönlich kannte, einen Gruss von ihm auszurichten.» Dies ebnete Thomas Schärer den Weg. Er wurde schliesslich vom Ludwigsburger Gemeinderat im ersten Wahlgang gewählt.

Doppelbürger geworden

213 Kilometer von seinem Zuhause in Egnach entfernt, verbrachte Thomas Schärer in den folgenden Jahren nur noch die Wochenenden, Ferien- und Feiertage in der Bodenseegemeinde. «Meine Frau hatte zu jener Zeit eine tolle Stelle in St. Gallen, und wir wohnten in meinem Elternhaus in Egnach. Das wollten wir nicht aufgeben.» Natürlich habe er dann und wann mit dem Gedanken gespielt, auch beruflich wieder in die Schweiz zurückzukehren. Es habe sich aber nichts Passendes ergeben.

2007 habe er dann im Auslandschweizer-Magazin gelesen, dass es neu möglich sei, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, ohne seine Schweizer Staatsbürgerschaft aufgeben zu müssen. Weil er sich in Ludwigsburg wohl fühlte, entschloss er sich, die Doppelbürgerschaft zu beantragen. «Ich wollte nicht nur dort leben, sondern mich aktiv am gesellschaftlichen Leben und den Wahlen beteiligen.» Seit dem 21. August 2008 ist Schärer schweizerisch-deutscher Doppelbürger.

Viel Rückhalt bekommen

Dass er sich vor einem Jahr schliesslich für eine Kandidatur zum Bürgermeister von Sigmaringen entschieden habe, sei vorher nicht vorgesehen gewesen. «Als ich vom frei werdenden Amt hörte, habe ich mehr aus Spass gesagt, dass ich mich dafür bewerben wolle. Doch dann hat mir mein Freund, der mittlerweile Landrat geworden war, Mut für eine Kandidatur gemacht.» Dann sei alles sehr schnell gegangen. Er habe sich bei den verschiedenen Parteien und Gruppierungen vorgestellt und habe zwar als gebürtiger Schweizer keine Wahlempfehlungen von diesen erhalten, aber doch einen starken Rückhalt. Obwohl er mit guten Chancen gerechnet hatte, war er von der Wahl im ersten Wahlgang überrascht.

«Das Amt macht mir sehr viel Freude», sagt er, und man will ihm gerne glauben, wenn er voller Begeisterung von der Geschichte und der Entwicklung von Sigmaringen erzählt. «Ich habe gedacht, es würde schwieriger werden. Aber die Menschen hier haben mich nett und freundlich aufgenommen. Heute bin ich hier richtig daheim.» Den Kontakt zu Egnach wird Thomas Schärer aber trotzdem nicht verlieren. «In Egnach habe ich viele Freunde, Bekannte und auch Verwandte. Da stehen mehrmals jährlich Besuche in der alten Heimat an.»