AN BETT GEGURTET: Klinik verletzt Menschenrechte

MÜNSTERLINGEN. Die Psychiatrische Klinik Münsterlingen hat gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen, als sie einen Patienten sechs Tage lang ans Bett gurtete. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht.

Ida Sandl
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Psychiatrische Klinik Münsterlingen: Hier wurde Patient Daniel angegurtet und isoliert. (Bild: Reto Martin)

Psychiatrische Klinik Münsterlingen: Hier wurde Patient Daniel angegurtet und isoliert. (Bild: Reto Martin)

Daniel (Name geändert) ist alles andere als ein einfacher Patient: Er ist aufsässig, sein Sozialverhalten ist gestört, die Intelligenz leicht vermindert. Der 22-Jährige steht unter Vormundschaft und landet immer wieder in der Psychiatrie. Dort provoziert und beschimpft er die Pfleger. Vor Jahren hat er einmal die Bettdecke angezündet, dann wollte er sein Zimmer unter Wasser setzen. Wiederholt wird er angegurtet und isoliert.

Zweimal abgeblitzt

Am 28. Januar 2009 eskaliert die Situation. Mit einer Schere in der Hand greift Daniel einen Pfleger an, verletzt ihn am Hals. Er wird ans Bett gegurtet und mit Medikamenten ruhiggestellt. Sechs Tage lang. Die Klinik zeigt ihn an wegen versuchter vorsätzlicher Tötung.

Daniel wehrt sich. Mit Hilfe seines Pflichtverteidigers reicht er Aufsichtsbeschwerde gegen die Klinik ein. Die Fixierung ans Bett und das Isolierzimmer seien nicht verhältnismässig. Das Departement für Finanzen und Soziales weist die Beschwerde ab.

Dann landet der Fall beim Verwaltungsgericht, aber auch hier blitzt Daniel ab.

Jetzt hat das Bundesgericht entschieden. Es kommt zum Schluss, die Psychiatrische Klinik Münsterlingen habe gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen die Bundesverfassung verstossen, als Daniel sechs Tage angegurtet wurde.

Nicht verhältnismässig

Die Dauer der Zwangsmassnahme sei «unverhältnismässig», weil der Patient in dieser Zeit mit Medikamenten ruhiggestellt war. Bei den Kontrollbesuchen hat er meistens geschlafen. «Von daher vermag es nicht einzuleuchten, weshalb […] die Fixierung nicht bereits nach kurzer Zeit aufgehoben […] worden ist», schreibt das Bundesgericht in der Urteilsbegründung. Es fand auch keine Hinweise, dass die Klinik versucht habe, die Fixierung für längere Zeit zu lösen.

Um die Gefahr fürs Pflegepersonal auszuschalten, hätten zur Visite einfach mehrere Pfleger erscheinen können, heisst es im Urteil.

Eine Fixierung an beiden Händen und Füssen und um die Taille sollte nur als absolut letztes Mittel angewendet werden, erklärt das Bundesgericht. Unmittelbar nach dem Angriff auf den Pfleger sei dies gerechtfertigt und verhältnismässig gewesen.

So konnte man sicher sein, dass bis zur Wirkung der Beruhigungsmittel keine weitere Gefahr von Daniel ausging. Auch die Isolierung beanstandet das Bundesgericht nicht. Die strikte Isolation habe nur wenige Tage gedauert, dann konnte er sich bereits vermehrt im Gemeinschaftszimmer aufhalten.

Späte Genugtuung

Daniel lebt jetzt im Kantonalgefängnis. Es war sein eigener Wunsch. Er fühlt sich wohl dort – wohler als in der Psychiatrie. Sein Anwalt sagt: «Das Urteil ist für ihn eine späte Genugtuung.»