Im Alters- und Pflegezentrum erinnern sich zwei Heimbewohner an frühere Zeiten. Ida Hungerbühler und Toni Löhrer wissen viel Spannendes von einst zu erzählen.
Yvonne Aldrovandi-Schläpfer
amriswil
Sie mögen sich noch gut an ihre Kindheit erinnern: Ida Hungerbühler und Toni Löhrer erzählen an diesem Nachmittag von früher – von damals, als alles noch ganz anders war als heute. Die beiden Senioren leben im Alters- und Pflegezentrum Amriswil. Für das Gespräch mit der «Thurgauer Zeitung» haben sie sich im Restaurant Egelmoos eingefunden. Keiner der beiden wusste im Vorfeld, wer der Gesprächspartner gegenüber sein wird.
Ganz besonders blieb den beiden der Zweite Weltkrieg in Erinnerung - dieser dauerte von 1939 bis 1945. Am 1. April 1944 bombardierten amerikanische Flugzeuge irrtümlicherweise Schaffhausen und Stein am Rhein. «Diese Gegend war eine bedrohte Grenzregion, weil sie am rechten Rheinufer liegt», weiss der 82-jährige Toni Löhrer, aufgewachsen in Donzhausen. «Die Sirenen heulten, und während des Unterrichts mussten wir uns im Schulhauskeller in Sicherheit bringen.» Für die Knaben sei dies ein spannendes Erlebnis gewesen. «Wir hatten keine Angst, nur ein leicht mulmiges Gefühl.»
Mit ihrer Familie sei sie am Mittagessen gewesen, als Friedrichshafen angegriffen wurde, erinnert sich die im st.-gallischen Untereggen aufgewachsene Ida Hungerbühler. Die Fensterscheiben hätten vibriert und die Dosen auf dem Küchengestell gewackelt. Als ob es erst gestern gewesen wäre, erzählt die 87-Jährige auch vom Nachtangriff auf die Stadt am deutschen Bodenseeufer. Ihre Schwester habe sie geweckt und gesagt: «Idäli muesch ufstoh, chum cho luegä!» Wie ein grosses Feuerwerk sei es gewesen über dem See. Gezittert hätten sie bei diesem Anblick, erzählt die Seniorin. Und Toni Löhrer doppelt nach: «Ja, ich mag mich ebenfalls daran erinnern. Wir haben es selbst in Donzhausen gesehen.» Alles musste nachts verdunkelt werden, damit die Fliegerpiloten nichts sahen. Die wenigen Autos, die es gab, waren mit Tarn-Lichtern ausgerüstet. «Nur der Arzt, der Krankenwagen und die Polizei waren ohne diese Tarnung unterwegs», erklärt Toni Löhrer.
«Auf der Strasse haben wir Völkerball gespielt. Wenn mal ein Auto kam, gingen wir zur Seite und spielten danach weiter», erklärt Ida Hungerbühler. «Und überhaupt – wir Kinder spielten oft zusammen und haben gemeinsam etwas unternommen», sagt Toni Löhrer.
Wenn immer möglich seien sie barfuss gelaufen, auch zur Schule. «Um halt die Schuhe zu schonen», meint Ida Hungerbühler. «Wir haben sogar Wetten abgeschlossen, wer am längsten barfuss laufen kann», fügt Toni Löhrer schmunzelnd an. Gerade im November sei es schon kalt gewesen, die Knaben hätten dann die Füsse im frischen Kuhfladen erwärmt.
Sein erstes Sackgeld habe er mit dem Putzen von Mostfässern bei den Bauern verdient. «Im Herbst musste ich in die grossen Fässer kriechen und diese reinigen.» Pro Fass wurde er mit einem Franken entlohnt. In seiner Freizeit hat Toni Löhrer ausserdem für die Druckerei Bircher in Sulgen das «Sulger Blättli» einmal wöchentlich in die Haushaltungen ausgetragen. Freizeit hatte Ida Hungerbühler nur spärlich. Als ältestes von elf Kindern musste sie zu Hause anpacken. «Ich habe der Mutter im Haushalt geholfen und zu meinen jüngeren Geschwistern geschaut.» Samstags sei jeweils der Putztag gewesen. Die Fussböden mussten mit Stahlwolle geschrubbt und das Ofentürchen mit dem Messingreinigungsmittel Sigolin auf Hochglanz gebracht werden. Doch nicht nur das Haus wurde am Samstag geputzt, dann war auch der traditionelle Badetag. Wasser musste erhitzt werden, und alle Kinder badeten nacheinander im selben Wasser - «mit Lux-Seife», ergänzt die Heimbewohnerin.
Im Winter hätten sich in den unbeheizten Schlafzimmern jeweils Eisblumen an den Fensterscheiben gebildet. «Wir hatten nur eine Bettflasche aus Metall. Im Ofenrohr hat unsere Mutter diese aufgeheizt und abwechslungsweise jedes der elf Kinderbetten damit kurz gewärmt», erzählt Ida Hungerbühler. Die Gummibettflaschen kamen erst später auf. «Mein Gott, waren das noch Zeiten», sagt sie und lacht.
Obwohl auf manches verzichtet werden musste, sind sich Ida Hungerbühler und Toni Löhrer einig: «Wir erlebten eine schöne Kindheit. Wir waren mit wenig zufrieden.»