Ukraine-Krieg
«Wir müssen die Strukturen bereitstellen»: Die Schulen im Appenzellerland bereiten sich auf die Integration von Kindern aus der Ukraine vor

Die Coronapandemie hat die Schulen in den vergangenen zwei Jahren stark umgetrieben. Nun folgt mit der steigenden Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine die nächste Herausforderung. In Appenzell Ausserrhoden bereiten sich das Departement Bildung und Kultur sowie die Schulen auf die Integration von Kindern aus dem Kriegsgebiet vor.

Mea McGhee
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Wie viele Kinder aus der Ukraine im Appenzellerland zur Schule gehen werden, ist offen.

Wie viele Kinder aus der Ukraine im Appenzellerland zur Schule gehen werden, ist offen.

Bild: Donato Caspari

Immer mehr Menschen flüchten vor dem Krieg in der Ukraine. Rund 300 Personen, darunter viele Kinder und Jugendliche, haben im Appenzellerland laut Schätzungen der Kantone bereits Schutz gefunden. Die genaue Zahl sei nicht bekannt, da noch nicht alle Geflüchteten sich bei einem Bundesasylzentrum registriert hätten, teilen die zuständigen Stellen auf Anfrage mit. Der Ausserrhoder Regierungsrat Alfred Stricker sagt: «Die Unterstützung der geflüchteten Menschen hat Priorität.»

Momentan bereiten sich die Kantone darauf vor, den geflüchteten Kindern und Jugendlichen im Volksschulalter den Schulbesuch zu ermöglichen. Alfred Stricker, Vorsteher des Ausserrhoder Departementes Bildung und Kultur, geht davon aus, dass die Schulen demnächst vor der Herausforderung stehen werden, eine grössere Zahl aus der Ukraine geflüchteter Kinder und Jugendliche zu unterrichten. Schätzungen des Amtes für Volksschule und Sport gehen davon aus, dass 15 bis 20 Kinder in den nächsten Tagen eingeschult werden könnten.

Drei Szenarien für die Schulen

Der Kanton hat drei Szenarien für das Begleiten und Unterrichten der Kinder und Jugendlichen vorbereitet. Diese sind auf die Anzahl der Geflüchteten im schulobligatorischen Alter und auf die Dynamik der Flüchtlingsbewegung abgestimmt. Wenn vereinzelte Kinder in den Gemeinden ankommen, werden sie nach den geltenden Vorgaben für Kinder ohne Kenntnis der Unterrichtssprache in Regelklassen integriert. Hierbei liegt schulische Förderung bei den Gemeinden.

Im zweiten Szenario nehmen einige Gemeinden mehrere Flüchtlinge im obligatorischen Schulalter auf. Es können Integrationslerngruppen gebildet werden, die intensiv in Deutsch und in der Integrationsthematik gefördert werden. In einer Regelklasse besuchen sie weniger sprachabhängige Fächer wie Sport, Bildnerisches Gestalten, Werken oder Musik.

Treffen innert kurzer Zeit sehr viele Flüchtlinge im obligatorischen Schulalter in den Gemeinden ein, übernimmt das Amt für Volksschule und Sport in Absprache mit den Schulleitungen die Organisation und Koordination von Integrationsklassen. Denkbar sei auch, dass das Departement Bildung und Kultur Leistungen von professionellen Dritten einkauft, sagt Alfred Stricker. Die Lernenden blieben solange in der Integrationsklasse, bis sie dem Unterricht einer Regelklasse folgen können, in der Regel maximal während eines Jahres.

Es braucht eventuell zusätzlichen Schulraum

Der Bereich Bildung profitiere in der aktuellen Krise von den Strukturen, die zur Bewältigung der Coronapandemie aufgebaut worden sind, sagt Regierungsrat Stricker. Das Koordinationsgremium Volksschule wurde reaktiviert und wird sich regelmässig austauschen. Drehscheiben seien die Schulleitungen, die dem Kanton fortan wöchentlich die Anzahl Flüchtlingskinder melden werden, die in den Gemeinden die Schule besuchen. «Unsere Aufgabe ist es, die Infrastruktur bereitzustellen, um den Schulunterricht zu ermöglichen», sagt Stricker. Noch lasse sich nicht abschätzen, ob es zusätzliche Fachpersonen und Räumlichkeiten brauche.

Es bestehe die Möglichkeit, dass mehrere Gemeinden zusammenarbeiten, sagt Martin Wehrle, Präsident der Ausserrhoder Schulleitungen, auf Anfrage. Die Schulleitungen würden sich mit den Führungsstäben der Gemeinden austauschen und das jeweilige Szenario vorbereiten. Er sagt: «Ruhe und Klarheit sind wichtig, um die Kinder in ihrer individuellen Situation in der Schule empfangen zu können.»

Leitfaden für Schulleitungen und Lehrpersonen

Die Integration von Kindern und Jugendlichen ohne Kenntnisse der deutschen Sprache und auch diejenige von Menschen aus Kriegsgebieten sei für die Volksschule grundsätzlich kein neues Phänomen. Um auf die aktuelle Lage vorbereitet zu sein, hat das Departement Bildung und Kultur einen Leitfaden zur Schulung von Flüchtlingen im Volksschulalter formuliert. Darin sind Hinweise zur Gestaltung des Unterrichts, zur altersgemässen Thematisierung des Kriegs, zur Beziehungsgestaltung, zur Begleitung der Lehrpersonen oder zum Umgang mit der Sprache formuliert. Der Grad der Unterstützung ist abhängig von der individuellen Situation des Kindes und vom eintreffenden Szenario. So steht im Leitfaden: «Kinder und Jugendliche aus dem Kriegsgebiet taumeln zwischen ganz unterschiedlichen, starken Eindrücken ihrer zeitnahen Erlebnisse und ihrer verschiedenartigen bisherigen beziehungsweise aktuellen Situation. Sie pendeln zwischen Verarbeitung, Vergessen und der (unbeschwerten) Teilhabe an der Aktualität. Zur Verarbeitung all dieser Empfindungen kommt die Sprach- und Schriftbarriere hinzu.»

Allenfalls befänden sich unter den Geflüchteten auch Personen mit pädagogischer Ausbildung oder mit Deutschkenntnissen. Solche Kompetenzen könnten genutzt werden, etwa, wenn Strukturen für grössere Lerngruppen geschaffen werden müssten, so Stricker.

Schulgemeinde Appenzell besonders gefordert

In Appenzell Innerrhoden sind am Dienstag 14 Geflüchtete aus der Ukraine angekommen, darunter zwei Kinder. Sie wurden dem Kanton vom Bund zugeteilt. «Wichtig ist zunächst, dass sie hier ankommen und sich erholen können. Erst in einem zweiten Schritt gilt es, sie in den Schulunterricht zu integrieren», sagt Roland Inauen, Vorsteher des Erziehungsdepartementes. Und: «Jedes Kind hat ein Anrecht auf Schulunterricht. Die Schulgemeinden sind nur daran, die Strukturen bereitzustellen.» Falls es nur einzelne Kinder sind, steht die Integration in die Regelklassen im Vordergrund. Für grössere Gruppen ist vorgesehen, diese in Integrationsklassen zu unterrichten. Dabei steht der Spracherwerb im Vordergrund.

Roland Inauen erwartet, dass das Gros der Flüchtlinge vom Bund zugeteilt wird. Demnach würden die Kinder und Jugendlichen vorwiegend in der Schulgemeinde Appenzell den Unterricht besuchen. Als Herausforderungen sieht der Departementsvorsteher kurzfristig allenfalls einen Mangel an Fachpersonen – sowohl in den Schulen wie bei der Betreuung in den kantonalen Strukturen. Das Innerrhoder Erziehungsdepartement hat ein Schreiben an die Schulleitungen verschickt. Erste Informationen zur Integration in den Klassen, zum Spracherwerb oder zum Umgang mit traumatisierten Kindern sollen Lehrpersonen und Schulleitungen unterstützen.

Wie viele Menschen bereits von Privaten aufgenommen worden sind, kann Roland Inauen nicht sagen. Er betont aber, dass sich alle Ukrainer registrieren lassen sollen, damit sie den Schutzstatus S und damit Unterstützung erhalten. Im Kanton macht er eine grosse Offenheit aus, den Geflüchteten unkompliziert zu helfen.