Peter Gerber hatte einen Traum: 400 Waffenläufe zu überstehen. Nach 8916,5 Kilometern ist er an seinem Ziel angekommen. «Was jetzt noch kommt, ist Zugabe», sagt der 70jährige Herisauer.
WAFFENLAUF. Ein Oberst will Peter Geber schon beim Start gratulieren. Doch dieser wehrt ab. Zuerst muss er die zehn Kilometer irgendwie überstehen. Nach einer Stunde und 25 Minuten geht sein Traum in Erfüllung: Gerber steht im Zielbereich in Wohlen – hinter sich sein 400. Waffenlauf. «Ich bin noch immer nervös, ich Esel», sagt der 70-Jährige eine Woche später und grinst.
Nun gehört Peter Gerber zu einem erlesenen Kreis. Nur vier weitere Läufer haben in der Schweiz mehr als 400 Waffenläufe absolviert. Exakt 8916,5 Kilometer weit ist Gerber gelaufen, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Geschichte nahm vor 51 Jahren ihren Lauf. Gerber hatte gerade die Rekrutenschule abgeschlossen. Nachts um halb zwei Uhr kam er nach Hause, um zehn Uhr stand er bereits wieder am Start des Frauenfelder Waffenlaufs. Der junge Mann war in bester Form, doch die Marathondistanz war auch für den Militärradfahrer eine Herausforderung. «Erst dachte ich, mit diesem <Seich> hörst du wieder auf», sagt Gerber. Er sollte sich irren.
In den folgenden Jahren blieb es nicht nur bei den Waffenläufen. Peter Gerber reiste 1976 an den New York Marathon. Er nahm an Triathlons teil und elfmal beendete er den Engadiner Skimarathon. Der Waffenläufer suchte nach immer neuen Grenzerfahrungen. Zum Beispiel beim Ötztaler Radmarathon: Der Kurs durch die Alpenlandschaft Österreichs ist 238 Kilometer lang, 5500 Höhenmeter sind zu bezwingen. «Das war knüppelhart», erinnert er sich. Alle diese Wettkämpfe hat Peter Gerber auf einem A3-Blatt fein säuberlich aufgelistet. Ein Foto zeigt Gerber, die Rose wie immer im Gewehrlauf. Daneben klebt ein Sticker: «I love Waffenläufe» – ich liebe Waffenläufe.
Als Peter Gerber als Waffenläufer begann, erlebte der Sport seine Blütezeit. Bis in die 1980er-Jahre waren beim Frauenfelder Militärwettmarsch über 1000 Teilnehmer am Start, heute sind es noch rund 200. Gerber hielt über all die Jahre der Disziplin die Treue. Er wolle niemandem zu nahe treten. «Aber einen Marathon schaffen heute viele.» Waffenläufer tragen auf dem Rücken immer eine Packung mit Sturmgewehr: 6,2 Kilogramm zusätzliche Mühsal.
Vor vier Jahren kam der Tiefpunkt. Während einer Stafette stiess Gerber mit einem Militärradfahrer zusammen. Die Folge war ein komplizierter Beinbruch. Andere in seinem Alter hätten sich in den sportlichen Ruhestand verabschiedet, doch Gerber behandelt den Unfall als ausgedehnte Trainingspause. «Doktor Schawalder hat mich perfekt zusammengeschraubt.» Er ist dem damaligen Unfallchirurgen des Spitals Herisau bis heute dankbar.
Was macht ein Mann, dessen Traum in Erfüllung ging? Den Moment auskosten und dann weitermachen. Peter Gerber denkt bereits an seinen nächsten Lauf. Am 28. Mai wird er in Lenzburg 14,4 Kilometer zurücklegen. Bis dahin wird er weiterhin auf seinem Mountainbike trainieren – und wenn es regnet nimmt er den «Militär-Göppel». Mit seinem Zahnstocher im Mundwinkel wirkt Peter Gerber wie jemand, der sich nichts mehr beweisen muss. Er sagt: «Was jetzt noch kommt, ist Zugabe.»