Glosse
Die Schildbürger aus Schilda bekommen Konkurrenz: von den Appenzellern aus Appenzell. Erzählt wird die Geschichte eines Platzes, der neu gestaltet werden sollte. Die Einwohner nennen ihn würdevoll den Landsgemeindeplatz. Eine alte Linde wacht über das Geschehen. Sie wirkt bedrückt, denn das Volk scheint alles andere als beglückt. Ein jeder, der über den Platz spaziert, wirkt schon von weit her komplett frustriert. Der Platz ist nicht mehr das, was er einmal war – im Gegenteil, es ist furchtbar.
Aus nächster Nähe hat die Linde erlebt, wie im Anschluss an Sanierungsarbeiten ein neues Verkehrskonzept eingeführt worden ist. Dies mit dem Ziel, dass keine Autos mehr den Landsgemeindeplatz queren und der Durchgangsverkehr gestoppt werden kann. Rund 1,5 Millionen Franken kostete die Sanierung. Schliesslich stellten die cleveren Appenzeller auch Pfosten auf, damit es für die Autos definitiv kein Durchkommen mehr gibt. Nur Fahrradfahrer, Töfffahrer oder Fussgänger sollten weiterhin von der einen Seite des Platzes auf die andere gelangen.
Eines Tages ist es soweit, ein Duo schreitet herbei und klatscht in die Hände. «Alles in Butter», meint der Bauherr namens Sutter. Triumphierend daneben Landesfähnrich Bürki: «Geschafft – einfach fabelhaft.» Und schon kommt der Fridolin mit seiner hübschen Fahrerin. Diese merkt ganz schnell, dass der Platz nicht mehr wirkt sehr traditionell. Trotzdem drückt sie aufs Gas, das Schlängeln durch die Pfosten macht ihr sichtlich Spass. Bürki und Sutter verstehen die Welt nicht mehr, solch ein Verhalten finden sie nicht fair.
Es dauert eine Weile, erzählt die Linde, bis die Appenzeller erkennen, dass auch bei ihnen die Autos vorwärts fahren und nicht quer gesteuert werden. Zu gross ist demnach die Lücke zwischen den Pfosten, die Autos können, wenn die Parkplätze nicht besetzt sind, weiterhin über den Platz und zwischen den Stangen durchrollen. Riesenslalom wird diese Disziplin bei der Ski-WM genannt.
Natürlich muss etwas geschehen, auch in Schilda blieben die Schildbürger nie untätig. Zur Auswahl stehen den Appenzellern das Streuen von Nägeln, das Setzen von zusätzlichen Pfosten, das Hinstellen von Wachtmeister Inauen – zur Verteilung von Bussen ist er sowieso präsent – oder das Rückgängigmachen der getroffenen Massnahmen.
Doch Bürki und Sutter sind zwei Schlaue und überaus Genaue. Sie streben eine Lösung an, bei der man die Eigenart der Innerrhoder erleben kann. Und so meint das Duo zur alten Linde, steckt die Lösung womöglich in deiner Rinde. Sie treffen sich heimlich und beraten lang, bis sieAABB22einstimmen in feierlichen Gesang: «Ketten müssen her, richtig fest und schwer. Die hängen wir dann zwischen die Pfosten und lassen sie dort, bis sie rosten.»
Und so soll es denn auch geschehen. An der alten Linde liegt es nun, diese Geschichte von Generation zu Generation weiterzugeben. Wie man sie erzählen hört, ist aus dem Landsgemeindeplatz denn auch der Festungsplatz geworden. Alljährlich zur Landsgemeinde wird dieses Namenswechsels gedacht. Dass nur noch die Hälfte der Bevölkerung erscheint, soll an mangelndem Durchkommen liegen …
Roger Fuchs
roger.fuchs@appenzellerzeitung.ch