Im Gegensatz zum vergangenen Jahr prägt gestern sonniges Wetter den Schwägalp-Schwinget. Im Publikum sind unterschiedliche Fachkenntnisse und Dialekte anzutreffen. Für jene Athleten, die nicht gerade an der Arbeit sind, bedeutet «Toi, toi, toi» mehr als eine Redensart.
SCHWÄGALP. Genau als der Gesangsauftritt mit dem Titel «Über dem Nebel» erfolgt, scheint die Sonne zum erstenmal auf die Schwingplätze. Die einen Zuschauer tragen den von einem Sponsor abgegebenen Hut, viele schützen sich mit eigener Kopfbedeckung, der kleine Rest ist unbehutet. Das Publikum lässt sich auch anders einteilen. Nach der Sprache: Wohl nur wenige Sportanlässe vermengen eine derartige Vielfalt an Dialekten, beim Bestellen des Kaffees ebenso auszumachen wie bei Ausbrüchen der Enttäuschung oder der Begeisterung. Nach der Menge des konsumierten Alkohols: viel, wenig, keiner. Oder nach dem Grad der Fachkenntnis: Manche kommentieren fast jeden Schwung und kaufen zügig jede Zwischenrangliste, andere interessiert der sportliche Ausgang weniger. Sie weilen eher wegen der Atmosphäre, der Geselligkeit und der Volkstümlichkeit auf der Schwägalp.
«In der Politik und einem OK ist es ähnlich wie beim Zauern», sagt Hans Höhener, der dem Ressort Empfang vorsteht. Es brauche Leute für den Lead und ein sehr gutes Zusammenspiel. Im grossen Rund zwischen Schwingplatz und Tribünen zirkulieren nicht nur schwer atmende Athleten, sondern auch Glace essende Kinder, viel beachtete Bundesräte, handybewehrte Zuschauer, eilige Sanitäter. Der bedauernswerte Innerschweizer Sennenschwinger Joel Wicki wird mit einer Unterschenkelfraktur weggetragen. Hütten dienen den Schwingern als Garderobe, Schattenraum, Ruheort. Die in Sportlerkreisen übliche Redensart «Toi, toi, toi», die Glück bringen soll, bekommt einen neuen Hintergrund: Auch die Schwinger benützen die mobilen Toi-Toi-Toiletten. Anlaufstelle für Fundgegenstände, teilt der Platzsprecher mit, sei die Polizei bei der Talstation der Schwebebahn. Heute kann Verlorenes bei dem Polizeiposten Herisau abgeholt werden. Dies gilt nicht für verlorene Kämpfe. Ein desillusionierter Schwinger verlässt den Platz und wischt sich Späne aus dem Gesicht. Vor dem Mittag werden die Lebendpreise vorgeführt. Zu den Spendern gehört die Olma. Vorne marschiert in stoischer Ruhe Zuchtstier Rex, der von Gewicht und Postur her perfekt zu den Schwingern passt. Eher an einen chancenlosen Teilnehmer des Kronberg-Buebeschwinget erinnert jener Lebendpreis, der zuhinterst seine Runde dreht: Der feingliedrige Helvis von Kappensand, ein fünfmonatiges, übermütiges Hengstfohlen.
In der Bekanntgabe der nächsten Paarungen beweist der Speaker einige Kreativität: Die Schwinger gehen an die Arbeit, sie geben einander die Hand, sie treten gegeneinander an, sie sind auf den Platz gelaufen, sie sind am Greifen. Leises Gemurmel begleitet deren Anstrengungen. Ein bemerkenswerter Kraftakt da, ein wirkungsvoller Wurf dort: Vor allem wenn es einem prominenten Athleten an den Kragen respektive den Gurt geht, wird es auf den Tribünen plötzlich leidenschaftlich laut. «Im vergangenen Jahr wollten noch alle unter das Dach», sagt Bundesrat Ueli Maurer am Apéro der Ehrengäste. Das Fest 2015 war von Gummistiefeln und Pelerinen geprägt. Viele Zuschauer sind mit dem öffentlichen Verkehr auf die Schwägalp gereist. Dennoch haben die Einweisposten Enormes zu leisten. «Immer graaduus, sempre diritto!», ruft einer in ein Auto mit italienischer Nummer. Einer der Lotsen hat Feierabend: Jener, der ab vier Uhr früh in Urnäsch Autofahrer auf Parkplätze gewiesen hat.