Angst vor einem Papiertiger: St.Galler Kantonsparlament vertagt Entscheid über Verbot von Nazikonzerten

Langer Streit ohne Ergebnis: Das St.Galler Kantonsparlament will das Verbot extremistischer Anlässe nochmals vertieft beraten. Sicherheitschef Fredy Fässler erwartet allerdings keine neuen Erkenntnisse.

Adrian Vögele
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Das Kantonsparlament tut sich schwer mit einem Veranstaltungsverbot für Rechtsradikale und andere Extremisten. (Bild: Ralph Orlowski/Getty Images)

Das Kantonsparlament tut sich schwer mit einem Veranstaltungsverbot für Rechtsradikale und andere Extremisten. (Bild: Ralph Orlowski/Getty Images)

Fredy Fässler stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. «Wovor haben Sie eigentlich Angst?», fragte der St.Galler Sicherheitschef das Parlament – nach längerer Diskussion über ein Verbot extremistischer Veranstaltungen. Zu diesem Zeitpunkt war klar: Der Rat würde den Entscheid verschieben, den Gesetzesartikel an die vorberatende Kommission zurückweisen, in der Hoffnung auf einen besseren Vorschlag.

Angst wovor? Im Frühling 2017 hätte die Antwort gelautet: Angst vor Leuten wie den 5000 Neonazis, die sich in Unterwasser zu einem Konzert getroffen hatten. Damals forderte das Parlament ein Verbot extremistischer Anlässe – auf Initiative der CVP. Am Mittwoch hingegen fürchtete der Rat etwas anderes: einen zahnlosen Paragrafen. Gemäss dem Vorschlag der Regierung sollen Anlässe verboten werden, die gegen die «demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung» verstossen und dadurch das «Sicherheitsempfinden» der Bevölkerung massgeblich beeinträchtigen. Der Artikel sei zu schwammig formuliert für einen wirksamen Vollzug, kritisierten FDP und SVP. Auch einzelne Linke zweifelten. Die vorberatende Kommission hatte keine griffigere Formulierung gefunden, weshalb sie das Verbot gleich ganz streichen wollte.

«Ein Nein kommt bei der Bevölkerung schlecht an»

Martin Sailer (SP) lieferte als Einwohner von Unterwasser ein anschauliches Beispiel dafür, was mit «Sicherheitsempfinden» gemeint sein könnte. «In jener Nacht ging ich mit dem Hund raus und hörte die Neonazis in der Tennishalle ‹Sieg Heil› schreien.» Da sei ihm definitiv nicht mehr wohl gewesen. «Ich bin kein Jurist. Mir geht es um das Zeichen, das wir nach aussen setzen», so Sailer. «Wenn wir den Artikel heute streichen, dann kommt das bei der Bevölkerung ganz schlecht an.»

Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) argumentierte, ein gesetzliches Verbot sei nicht nötig. Die Gemeinden könnten solchen Anlässen heute schon die Bewilligung verweigern – oder diese nachträglich entziehen, falls sie mit falschen Angaben erschlichen worden sei. Dann dürfe die Polizei sowieso einschreiten. Der Verbotsartikel löse keine Probleme und gaukle eine falsche Sicherheit vor. Vincenz zog auch die juristische Argumentation der Regierung in Zweifel, wonach die polizeiliche Generalklausel im Kanton St. Gallen nicht mehr für ein Verbot extremistischer Anlässe tauge, wenn sich das Parlament gegen ein entsprechendes Gesetz entschieden habe.

Regierungsrat Fredy Fässler. (Bild: Regina Kühne)

Regierungsrat Fredy Fässler. (Bild: Regina Kühne)

«Bei einem Nein hat die Polizei ein Problem»

Dagegen wehrte sich Fredy Fässler vehement.

«Es stimmt einfach nicht, dass die heutige Rechtslage ausreicht. Wenn Sie dieses Verbot streichen, haben die Polizei und ich ein Problem.»

Das zeigten die Urteile des Bundesgerichts zur Generalklausel. Noch schärfere Töne schlug die CVP als Urheberin des Verbots an: «Ein Verzicht kommt einer Einladung an extremistische Gruppen gleich», sagte Patrizia Adam.

Die SVP ortete die Probleme hingegen ganz woanders. «Im Fall Unterwasser haben die Nachrichtendienste versagt», sagte Erwin Böhi. «Die Polizei war zu spät informiert.» Die Sicherheitsbehörden besser zu vernetzen, sei viel wirksamer als ein Gesetz, «das nicht halten kann, was es verspricht».

Kommission muss nochmals über die Bücher

Schliesslich holte Etrit Hasler (SP) das Parlament aus der Sackgasse: «Wir sind uns alle einig, dass wir solche Anlässe im Kanton nicht wollen», stellte er fest. «Aber wir sind uns nicht einig, was die korrekte Massnahme wäre.» Hasler beantragte deshalb die Rückweisung des strittigen Artikels an die vorberatende Kommission für eine weitere Überarbeitung. Damit stiess er bei allen Fraktionen auf offene Ohren, auch bei FDP und SVP. Es sei «mehr als angebracht», den Artikel nochmals zu diskutieren, sagte FDP-Fraktionschef Beat Tinner.

Fredy Fässler allerdings warnte: «Eine griffigere Formel wird sich auch im zweiten Anlauf kaum finden lassen.» Auch falls der Verbotsartikel keine Probleme lösen sollte, so verhindere er doch zumindest, dass neue entstünden – und er koste nur drei Zeilen in der Gesetzessammlung.

Härtere Gangart gegen Stalker beschlossen

Nebst dem Veranstaltungsverbot hat das Parlament weitere Anpassungen im Polizeigesetz beraten, die weitgehend unbestritten waren. So erhält die Polizei mehr Möglichkeiten, Stalking-Opfer zu schützen. Sie kann künftig Wegweisungen aussprechen sowie Annäherungs-, Kontakt- und Rayonverbote gegen Stalker verfügen. Der Kanton wird eine Koordinationsgruppe bilden, die Hochrisikofälle im Bereich Stalking und Häusliche Gewalt beurteilen und Empfehlungen an die Behörden abgeben soll. Weiter will das Parlament die Instrumente der Polizei bei der erkennungsdienstlichen Behandlung erweitern: Wenn die Polizei Personen mit Gegenständen antrifft, die auf eine mögliche Straftat hinweisen – etwa Einbruchswerkzeug – soll sie deren Daten aufnehmen dürfen, auch wenn kein konkreter Tatverdacht vorliegt. Die Linke warnte vor einem zu starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und verlangte eine Änderung des Artikels, jedoch ohne Erfolg. Die zweite Lesung des Gesetzes steht noch bevor. (av)