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Ostschweiz
Der Pferdehändler von Hefenhofen wurde mehrfach als Tierquäler verurteilt. Spätestens 2011 hätte er mit einem Tierhalteverbot belegt werden müssen, doch nichts passierte. Gerichtsurteile dokumentieren das Versagen der Thurgauer Behörden. Eine Serie der NZZ – Teil 2: Das Versagen der Thurgauer Behörden.
Inkonsequent und teilweise inkompetent: So lässt sich auf einen Nenner bringen, wie Verwaltung und Regierung des Kantons Thurgau mit dem wohl krassesten Fall von Tierquälerei in der Schweiz jahrelang umgegangen sind. Nachdem die Behörden am 7. August letzten Jahres den Hof in Hefenhofen mit grossem Polizeiaufgebot hatten räumen lassen, machte sich eine von der Regierung eingesetzte Kommission an die Arbeit, die Versäumnisse aufzuarbeiten und Erkenntnisse herauszuschälen, wie der Tierschutz besser gewährleistet werden kann. Die Kommission, die ihren Bericht am 31. Oktober vorstellen wird, hatte ungehindert Zugang zu Akten und Auskunftspersonen der Verwaltung.
Doch allein die Auswertung von 50 Urteilen der Straf- und Verwaltungsgerichte zum Fall Hefenhofen, in welche die NZZ Einblick hatte, genügt, um das Verhalten der Behörden nachzuzeichnen und wenig schmeichelhafte Schlüsse zu ziehen. Dabei gilt es die Bereiche Strafjustiz und Verwaltungsjustiz zu trennen: Das Tierschutzgesetz sieht einerseits strafrechtliche Massnahmen vor, anderseits sollen mit verwaltungsrechtlichen Tierhalteverboten künftige Vorschriftsverletzungen verhindert werden.
Mehrfach verurteilten die Strafrichter den Tierhalter Ulrich Kesselring wegen Verstössen gegen das Tierschutzgesetz und wegen weiterer Delikte. Mehrfach machten sie auch deutlich, dass die Zustände auf dem Hof in Hefenhofen untragbar seien. Doch für den Erlass von Tierhalteverboten und deren Durchsetzung sind die Strafgerichte nicht zuständig. Dafür verantwortlich ist die Verwaltung, im Falle von Beschwerden die Verwaltungsjustiz. Im Kanton Thurgau ist das Departement für Inneres und Volkswirtschaft (DIV) mit dem Fall Hefenhofen betraut: das Veterinäramt als erste und der Regierungsrat als zweite Instanz.
Der Tierhalter Ulrich Kesselring war ein unangenehmer Kunde. Kontrollen auf seinem Hof wurden für die Behörden zu Spiessrutenläufen, sie hatten Morddrohungen und tätliche Angriffe zu gewärtigen. Schon 2003 stellte das Bezirksgericht Arbon in einem Urteil fest, dass «der Angeklagte Beamte offensichtlich als Störenfriede empfindet». Dennoch zeigte sich der von Kesselring so verhasste Kantonstierarzt Paul Witzig geneigt, Gnade walten zu lassen, denn schliesslich hatte Bauer Kesselring, der acht Buben zeugte, eine Familie zu ernähren; ein Tierhalteverbot hätte, so die Überlegung, dessen Existenz gefährdet. Auf der anderen Seite stand Witzig unter Druck durch den streitbaren Tierschützer Erwin Kessler und dessen Verein gegen Tierfabriken.
Die Dringlichkeit, ein Tierhalteverbot gegen Ulrich Kesselring auszusprechen, war bereits 2008 gegeben. Zunächst schien alles klar. Der Veterinärdienst der Armee, der bisher Pferde von Kesselring gekauft hatte, distanzierte sich wegen der als «miserabel» und als «nicht mehr tolerierbar» qualifizierten Zustände vom Pferdehändler. Das Bezirksgericht Arbon verurteilte diesen unter anderem wegen mehrfacher Tierquälerei zu einer saftigen Geldstrafe und stellte fest: «Für die Tiere ist die Haltung bei einem Tierhalter wie dem Angeklagten fatal.» Bei Kesselring könne nichts als «Geringschätzung den Tieren gegenüber» festgestellt werden, zudem setze er sich «willentlich und ohne mit der Wimper zu zucken über gesetzliche Vorschriften hinweg» und sei erschreckend uneinsichtig. Das Gericht rief das Veterinäramt explizit dazu auf, ein Tierhalteverbot zu erlassen. Kantonstierarzt Paul Witzig erklärte daraufhin gegenüber den Medien, er warte ein rechtsgültiges Strafurteil ab.
Dies war im Februar 2010 der Fall, nachdem das Bundesgericht eine Beschwerde Kesselrings abwiesen hatte. Das Veterinäramt war unterdessen bereits aktiv geworden und hatte mittels Verfügung angedroht: «Wenn bei einer weiteren Kontrolle wiederum Mängel in der Tierhaltung festgestellt werden, wird Ueli Kesselring und allen im gleichen Haushalt lebenden Personen ein sofortiges unbefristetes Tierhalteverbot auferlegt.» Das Veterinäramt führte detailliert sechs Bereiche auf, die verbessert werden müssten, beispielsweise seien eine fachgerechte Pflege und Behandlung und eine genügende Wasserversorgung der Tiere sicherzustellen.
Diese Verfügung wurde von Ulrich Kesselring angefochten, erst beim DIV, dann beim Thurgauer Verwaltungsgericht, dann vor Bundesgericht – überall erfolglos. Die Bundesrichter beurteilten die Beschwerde «angesichts der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung als aussichtslos». Sie hoben einzig einen nichtrelevanten Nebenpunkt wegen eines formellen Mangels auf und auferlegten Kesselring die gesamten Gerichtskosten.
Damit waren im Juni 2011 die juristischen Voraussetzungen für ein Tierhalteverbot oder gar eine vorsorgliche Beschlagnahmung gegeben. Einerseits war der Tierhändler wegen wiederholter und schwerer Zuwiderhandlungen mehrfach verurteilt worden, anderseits war festgestellt worden, dass die Tiere auf dem Hof vernachlässigt und unter völlig ungeeigneten Bedingungen gehalten wurden. Der damals zuständige Departementsvorsteher, Regierungsrat Kaspar Schläpfer, bekräftigte in Interviews denn auch, dass das Veterinäramt die notwendigen Massnahmen ergreife, schliesslich seien «die Behörden zum Handeln verpflichtet».
Doch Fragwürdiges geschah: Bei einer Nachkontrolle auf Kesselrings Hof wurden plötzlich keinerlei Mängel mehr registriert. Das kam so überraschend und widersprach sämtlichen Erfahrungen früherer (und nachfolgender) Kontrollen, dass selbst das Verwaltungsgericht Zweifel am Befund des Veterinäramts signalisierte: Es habe «angeblich» keine Beanstandungen mehr gegeben. Das Gericht wunderte sich insbesondere darüber, dass «offensichtlich kein Protokoll erstellt wurde». Über diese mysteriöse Nachkontrolle, die dazu führte, dass Kesselring über Jahre und trotz einer neuerlichen Verurteilung als Tierquäler weiterhin Tiere halten durfte, fehlen in den Gerichtsakten sonst jegliche Hinweise. Es wird interessant sein, was die Untersuchungskommission am 31. Oktober dazu zu sagen hat. Auffällig ist jedenfalls, dass diese entscheidende Nachkontrolle nur zwei Wochen nach jenem Vorfall erfolgte, als Kesselring gegen Kantonsveterinär Paul Witzig gewalttätig wurde und ihn mit vorgehaltener Pistole durch den Hof jagte. Geschah der plötzliche Entscheid, Ulrich Kesselring zu schützen statt die Tiere, aus Angst vor dem Tierhändler?
Erst im August 2013, nachdem Kesselring eine Haftstrafe abgesessen hatte, nahm das Veterinäramt einen neuen Anlauf und ordnete an, die Mängel bei der Tierhaltung zu beheben und den Pferdebestand von rund 120 Tieren auf maximal 60 zu reduzieren. Sonst werde ein Tierhalteverbot unumgänglich. Das Veterinäramt kehrte somit wieder zur Einschätzung zurück, dass «der Zustand betreffend Einhaltung der Tierschutzvorschriften in seiner Gesamtheit unverändert negativ und unter den gegeben Umständen nicht verbesserungsfähig» sei. Trotzdem solle Kesselring «im Sinne der Deeskalation eine letzte Chance zur Aufrechterhaltung des Betriebs gewährt werden». Er nutzte sie – wie erwartet – nicht.
14 Monate danach, im Oktober 2014, verfügte das Veterinäramt deshalb ein totales Tierhalteverbot. Die Umsetzung habe bis Ende 2014 zu erfolgen. Kesselring wehrte sich dagegen bis vor Bundesgericht – und bekam recht. Das Veterinäramt habe sich, urteilte das Bundesgericht im Juli 2016, einen «groben Verfahrensfehler» zuschulden kommen lassen, indem es Kesselring das rechtliche Gehör und die Akteneinsicht verweigert habe. Mehrere Tage lang hatte das Amt ein Gesuch um Akteneinsicht durch Kesselrings Anwalt ignoriert und just einen Tag nach Ablauf der Rekursfrist mit der flapsigen Bemerkung geantwortet, «Akteneinsicht werden wir Ihnen zum uns richtig erscheinenden Zeitpunkt gewähren».
Damit scheiterte auch das zweite totale Tierhalteverbot. Unabhängig davon unterliess es das Thurgauer Veterinäramt aber auch, das längst rechtskräftige Teilhalteverbot zu vollziehen. Daran änderte auch eine von Regierungsrat Kaspar Schläpfer eingesetzte verwaltungsinterne «Arbeitsgruppe Ulrich Kesselring» nichts, die sich nach 20 Monaten und elf Sitzungen ohne Ergebnis auflöste, ebenso wenig eine vom neuen DIV-Vorsteher Walter Schönholzer initiierte Mediation. Erst die Bilder der geschundenen und verendeten Pferde im «Blick» führten am 7. August 2017 dazu, dass der Hof in Hefenhofen endlich zwangsgeräumt wurde.
Zum Leerlauf und zur Konfusion im Thurgauer Veterinäramt passt eine letzte Begebenheit. Wieder einmal drohte Ulrich Kesselring dem Kantonstierarzt mit dem Tod: Er wisse schon, schimpfte er während einer Kontrolle seines Hofs, wie er «den Alten» um die Ecke bringen könne. Er brauche das nicht selbst zu tun, sondern könne fünf Rumänen 1000 Franken in die Hand drücken. Paul Witzig, «der Alte», reichte Strafanzeige wegen Drohung ein. Doch die Staatsanwaltschaft konnte darauf nicht eintreten. Witzig hatte die dreimonatige Frist zur Einreichung verpasst.
kru. In einer dreiteiligen Serie wertet die NZZ die Gerichtsakten zum Fall Hefenhofen aus. Der erste Teil erzählte die Geschichte des Pferdehändlers, der vorliegende zweite Teil beleuchtet das Verhalten der Thurgauer Behörden, der dritte nimmt die finanziellen Folgen aus den Gerichtsfällen unter die Lupe.
Dieser Artikel erschien am 26. Oktober 2018 in der NZZ.