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Schweiz (Newsticker)
Das Oberhaupt der Katholiken hat am Donnerstag eine Messe in der Protestantenstadt Genf gehalten. Zehntausende kommen, um den Papst zu sehen.
Jubelschreie aus der Menge. Die Zuschauer stellen sich auf Stühle, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Eltern machen ihre Säuglinge bereit, um sie ihm hinzustrecken. Dann taucht er auf, irgendwo zwischen den Smartphone-Bildschirmen blitzt sein weisses Käppchen auf. Auf dem grossen Bildschirm erscheint er nun in voller Grösse. Endlich ist er da, Papst Franziskus! Kurz vor fünf dreht Jorge Mario Bergoglio auf einem Elektrowägelchen eine Runde durch die Palexpo-Messehalle in Genf.
Sieben Stunden vorher: Kurz nach 10 Uhr pressen Marie (19) und Agathe (18) ihre Nasen an die Glasscheibe. Sie versuchen von der Eingangshalle des Messezentrums Palexpo aus, einen Blick auf die Alitalia-Maschine zu ergattern, die eben gelandet ist. Auf der Rückseite ihrer gelben Poloshirts steht die Aufschrift «Benevoles», die beiden Genferinnen helfen freiwillig. Auf der Vorderseite ihrer Leibchen sind die Umrisse von Papst Franziskus aufgestickt. Der echte Papst ist von hier aus nicht zu sehen. Ein Blick in die Liveticker der Nachrichtenseiten zeigt: Er hat gerade Schweizer Boden berührt und schüttelt bereits Bundespräsidenten Alain Bersets Hand.
Während Marie und Agathe sich um die ersten Gläubigen und Papstfans kümmern, die früh schon für den Gottesdienst angereist sind, tauschen Berset und Franziskus Geschenke aus. Später, bei einem Pressetermin, zeigt sich Berset angetan vom Papst, bleibt aber diplomatisch. Man habe über die Beziehung der Schweiz zum Vatikan und über globale Herausforderungen wie die Flüchtlingsfrage gesprochen. Als Berset am Genfer Flughafen zu den Journalisten spricht, ist Papst Franziskus bereits am Beten. Er tut dies im Kreise derer, die ihn eingeladen haben, beim Ökumenischen Rat der Kirchen. Der Verbund verschiedener christlicher Kirchen hat 348 Mitglieder in 110 Ländern und feiert heuer sein 70-Jahre-Jubiläum.
Während Papst Franziskus zu Mittag isst (Fisch an weisser Buttersauce mit Reis und sautiertem Gemüse), trifft Christengruppe um Christengruppe beim Messezentrum Palexpo ein. Auf eine Traube Vietnamesinnen mit farbigen Kleidern und Halstüchern folgt ein Tross Philippiner. Einwanderer aus Ländern mit katholischem Hintergrund prägen später die Menge, die dem Papst zujubelt: Italiener, Spanier, Kroaten, Portugiesen, Brasilianer. Sie schwenken Fahnen, es sieht aus wie beim WM-Public-Viewing, nur dass auch viele Walliserfahnen geschwenkt werden.
Draussen vor dem Eingang warnt David, ein junger Mann aus St. Gallen, vor der Endzeit. Er hält es für wahrscheinlich, dass die Apokalypse schon im nächsten halben Jahr kommen könnte. Papst Franziskus schaut düster von einer DVD-Hülle. Die meisten DVDs und Bücher, die David und seine papstkritischen Mitstreiter einer Freikirche verteilen, landen später in einem Container, der für Getränkeflaschen gedacht ist. Beim Mega-Gottesdienst des Papstes gelten die gleichen Regeln wie beim Fliegen: Keine Flüssigkeiten, und jeder muss durch den Metalldetektor. Dafür gibt es auf der anderen Seite der Sicherheitsschleuse gratis neue Wasserflaschen. Die hippen Einkaufsbeutel mit dem Konterfei des Papstes kosten allerdings zwanzig Franken. Zwei mächtige Kupferkessel stehen für die Kollekte bereit. Darin liegen offen Zehner-, Zwanziger- und Fünfzigernoten. Der Papstbesuch ist nicht ganz billig. Für geschätzte zwei Millionen Franken muss in erster Linie das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg aufkommen. Gegen 16 Uhr ist die Halle gut gefüllt, allerdings bleiben die hinteren Ränge bis zum Schluss leer. Offenbar wurden nicht alle der 41000 im Vorfeld vergebenen Tickets auch eingelöst. Vor den Eingängen bilden sich den ganzen Tag kaum Schlangen, dafür aber vor den Toiletten und den improvisierten Beichtstühlen, die sich in weissen Plastikzelten befinden. Der Besuch des Papstes beim Ökumenischen Rat der Kirchen ist ein Zeichen der Einheit von Katholiken und anderen Christen. In der Palexpohalle läuft dann aber alles streng katholisch ab. Nach dem päpstlichen Bad in der Menge folgen Einzug, Gebet, Lesung aus dem Evangelium, Predigt, Fürbitte, Kommunion und Segen.
Franziskus spricht in der Predigt über das Brot. Es sei das Einzige, um das man bitten soll. Er ruft zu Einfachheit und Bescheidenheit auf. Dann sagt er: «Wehe denen, die mit Brot spekulieren!» Zudem mahnt er, echte Begegnungen virtuellen Freundschaften vorzuziehen, «Menschen statt Maschinen». Zu einer Schrecksekunde kommt es, als der Papst beim Aufstehen stolpert. Er muss gestützt werden, was manchen Zuschauer mit Sorge erfüllt. Unter den angereisten Gläubigen befindet sich auch die Theologin Jacqueline Straub. Sie freut sich, dass Franziskus in der reichen Schweiz Lebensmittelverschwendung und Spekulation angesprochen hat. Gefehlt haben Straub, die anstrebt, katholische Priesterin zu werden, die Frauen. «Wenigstens beim Einzug der Ministranten hätte ich mir Messdienerinnen oder Gemeindeleiterinnen gewünscht.» Dass abgesehen vom Chor kaum Frauen am Gottesdienst eine Rolle spielten, vermittle dem Papst ein falsches Bild der Schweizer Katholiken, kritisiert Straub. Die meisten Zuschauer sind aber zufrieden mit dem Papstbesuch. Für viele ist es vor allem darum gegangen, diesen Franziskus mit eigenen Augen zu sehen. Wenn auch nur von weitem, irgendwo zwischen den Smartphonebildschirmen.