Schmerzmittel
ETH registriert starke Zunahme von Opioid-Vergiftungen in der Schweiz

In der Schweiz werden heute doppelt so viele Opioide verkauft wie vor 20 Jahren. Auch die Zahl der Vergiftungen mit den abhängig machenden Schmerzmitteln hat sich mehr als verdoppelt.

Peter Walthard
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In den USA gilt Oxycontin als Treiber der Opioidkrise. Der Verkauf des Wirkstoffs ist in der Schweiz stark angestiegen.

In den USA gilt Oxycontin als Treiber der Opioidkrise. Der Verkauf des Wirkstoffs ist in der Schweiz stark angestiegen.

Keystone

Verschreibungen und Vergiftungsfälle von Opioiden haben in der Schweiz stark zugenommen. Die Situation sei zwar nicht so dramatisch wie in Nordamerika, dürfe aber nicht unterschätzt werden, teilte die ETH am Montag mit. Nachdem erste Studien aus den Niederlanden und Dänemark auf den wachsenden Gebrauch des stark abhängig machenden Wirkstoffs Oxycodon aufmerksam gemacht hatten, untersuchte eine Gruppe um Pharmakoepidemiologin Andrea Burden die Entwicklung in der Schweiz.

Oxycodon, besser bekannt unter dem US-Markennamen Oxycontin, löste in den USA eine Opioid-Krise aus: Allein im letzten Jahr verstarben dort mehr als 100'000 Menschen an einer Opioidüberdosis. Die von der ETH analysierten Zahlen zeigen nun, dass Opioide auch in der Schweiz zunehmend zu einem Problem werden. Eine Auswertung der Anrufe bei der Vergiftungshotline Tox Info Suisse zeigte, dass die Zahl der Opioidvergiftungen seit 2000 um 177 Prozent zugenommen hat.

Oxycodon: Verkauf in sieben Jahren verdoppelt

Die vom Apothekenverband Pharmasuisse zur Verfügung gestellten Verkaufszahlen belegen zugleich eine Verdoppelung des Konsums. Seit 2020 stieg die Anzahl verkaufter Einheiten pro 100'000 Einwohner von 14'300 auf 27'400. Dabei sei der Anstieg bei den starken Opioiden stärker als bei den schwachen, sowohl bei den Vergiftungen als auch bei den Verkäufen, so die ETH.

Am meisten verschrieben wird in der Schweiz das relativ schwache Opioid Tramadol. Auf Platz zwei, mit steigender Tendenz, findet sich aber bereits das umstrittene Oxycodon. Mehr als ein Drittel der Anfragen bei Tox Info Suisse habe sich auf diesen Wirkstoff bezogen, heisst es in der Studie. Allein zwischen 2009 und 2016 hat sich der Oxycodon-Konsum verdoppelt. «Die Verkaufszahlen haben etwa gleich stark zugenommen wie in den Niederlanden und Dänemark», wird Studienautorin Andrea Burden im Text der ETH zitiert. Allerdings seien die Pro-Kopf-Verkäufe in der Schweiz in den vergangenen Jahren «substanziell höher».

Einschränkungen treiben Abhängige in den Schwarzmarkt

Damit sei die Lage noch nicht annähernd so gravierend wie in den USA oder in Kanada. Aber: «Die derzeit hohen Verkaufszahlen von Oxycodon sind vergleichbar mit denjenigen in Kanada in den frühen 2000er-Jahren.» Die Lage müsse deshalb beobachtet werden, so Burden. Auch sollen Daten über den vollen Umfang der Opioid-Verwendungen und Abhängigkeiten gesammelt werden, «damit die Politik gut informiert entscheiden kann».

In Nordamerika war Oxycontin nur die erste Stufe einer Krise: Nachdem dieses vom Markt genommen wurde, stiegen die Süchtigen auf das zehnmal stärkere Fentanyl um, an dem unter anderem Popstar Prince starb.

Abrupte Einschränkungen bei starken Opioiden treibe bereits Abhängige Konsumenten in den Schwarzmarkt, warnt Burden: «In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass wir aus der Situation anderer Länder noch etwas lernen können und hoffentlich eine Fentanyl-Epidemie verhindern können».