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Die Shortlist des Schweizer Buchpreises 2022 enthält vier Unbekannte und einen sicheren Wert: Simon Froehling, Lioba Happel, Thomas Röthlisberger und Kim de l'Horizon fordern den Altmeister Thomas Hürlimann heraus. Der Preis ist mit 42'000 Franken dotiert.
Uih, jetzt hat es uns die Jury des Schweizer Buchpreises aber gezeigt! Als beste Bücher des Jahres schlägt sie uns bis auf eine und eine halbe Ausnahme lauter Werke vor, die garantiert niemand kennt, geschweige denn gelesen hat: Da findet sich eine Lioba Happel – nie gehört von ihr, ein Thomas Rötlisberger, nie gelesen. Und auch Simon Froehling kennt man eher vom Theater her. Als Belletrist ist er ein Geheimtipp, um es artig zu sagen.
Bleibt noch Kim de l’Horizon, ein Debütant, dessen genderfluider Roman «Blutbuch» immerhin breit rezensiert worden ist, unter anderem auch von diesem Blatt. Zudem hat es Kim de l’Horizon auf die ungleich substanziellere Shortlist des deutschen Buchpreises geschafft. Und dann hat es auch Thomas Hürlimann endlich geschafft. Der einzige grosse Name auf der Shortlist. Auch wenn Hürlimanns neuer Roman «Der rote Diamant» gewiss nicht sein bestes Werk ist, enthält er doch viel Gelungenes.
Was sagt uns diese Auswahl? Die Jury scheint es geradezu verzweifelt darauf abgesehen zu haben, den Schweizer Buchpreis zu einem reinen Förder- und Entdeckerpreis herunterzustufen. Sie will sich nur ja nicht dem schnöden Vorwurf aussetzen, lediglich Autorinnen und Autoren auszuzeichnen, deren Bücher massenhaft gekauft und breit rezensiert werden, wie das etwa bei Alain Claude Sulzers aktuellem Roman «Doppelleben» oder bei Alex Capus’ Roman «Susanna» der Fall ist.
Schon im letzten Jahr puddelte die Jury diverse zarte und dürre Pflänzchen aus allerlei dunklen Ecken und Nischen aus und stellte sie für einige Momente ins helle Licht des Literaturmarktes. Geholfen hat es kaum. Wer erinnert sich noch an die Namen Thomas Duarte oder Veronika Sutter? So verliert der einst renommierteste Schweizer Buchpreis zunehmend sein Gewicht und auch seinen Glamour-Faktor und schafft sich langsam, aber sicher selber ab. Manche Schweizer Starautoren wollen ihre Neuerscheinungen inzwischen gar nicht mehr einreichen lassen, weil ihnen der Buchpreis nicht mehr wichtig genug ist.
Oder verkennen wir das wahre Anliegen der Jury? Will sie uns tumben Kritikerinnen und Kritikern zeigen, was wir alles verpennen? Haben wir in diesem Jahr die Falschen gelobt und die wahren Meisterwerke verkannt? Hoffen wir es. Wir werden uns die Unbekannten gewiss vornehmen, etwa Simon Froehlings Roman «Dürrst». Er taucht in die Lebensrealität eines homosexuellen und an einer bipolaren Erkrankung leidenden Mannes ein.
Bei Lioba Happel und ihrem Roman «Pommfritz aus der Hölle» geht es um Briefe aus dem Gefängnis Ein Insasse, der seine Mutter umgebracht hat, schreibt seinem Vater, den er nur einmal zu Gesicht bekommen hat. Thomas Rötlisberger entfaltet in «Steine zählen» ein nordisches Drama, das irgendwo in Südfinnland spielt. Ein Buch mit allen Ingredienzen eines guten und doch tiefschürfenden Krimis, verrät uns die Jury. Kim de l’Horizon führt uns in seinem «Blutbuch» vor Augen, wie es ist, in einem nonbinären Körper zu leben. Schliesslich Thomas Hürlimann: In «Der rote Diamant» kehrt er lustvoll in seine Internatsjahre zurück.
Drei der fünf Nominierten sind längst im Pensionsalter Obwohl die Jury dieses Jahr aus lauter Frauen besteht, hat sie männliche und queere Autoren redlich gewürdigt und nur eine Frau auserkoren. Auch trimmte sie die Shortlist nicht angestrengt auf Jugendlichkeit. Drei der fünf Nominierten sind längst im Pensionsalter, Kim de l’Horizon ist mit 30 der Jüngste.
88 Titel aus 58 Verlagen sind dieses Jahr eingereicht worden. Die nun selektionierten Werke leuchten zwar alle irgendeine Realität aus, aber die dringlichsten Themen, die uns alle beschäftigen, ob Corona, Klima oder der Krieg in der Ukraine, scheinen in den nominierten Romanen noch nicht angekommen zu sein. Das spricht nicht gegen deren Qualität. Aber man hätte sich bei der Auswahl doch mindestens einen Titel gewünscht, der beweist, dass Literatur auf allgemeine Nöte der Zeit eigenständige Antworten liefern kann.
Etwas Gutes hat die diesjährige Auswahl der Jury: Vier der Nominierten sind Nebenfiguren. Thomas Hürlimann überstrahlt sie alle. Zwar wird immer betont, der Schweizer Buchpreis werde für ein gelungenes Einzelbuch verliehen, nicht für ein Gesamtwerk. Aber frühere Preisträger wie Peter von Matt, Ilma Rakusa oder Peter Stamm belegen, dass man durchaus auch verdiente Autorinnen und Autoren wegen ihres Gesamtwerks ausgezeichnet hat. Und da ist es höchste Zeit, dass Hürlimann geehrt wird. Halleluja!
Am 20. November wird am Literaturfestival Buchbasel der Schweizer Buchpreis 2022 verliehen. Dem Gewinner des Schweizer Buchpreises 2022 winken 30'000 Franken, die vier anderen Vorgeschlagenen erhalten jeweils 3'000 Franken.