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An der Psychiatrischen Klinik Königsfelden wurden im letzten Jahrhundert an mehreren hundert Patienten Medikamente getestet – ohne dass sie davon wussten. Eine Studie gibt nun Einblick in dieses dunkle Kapitel.
(nla/rwa) Zwischen 1955 und 1960 sind in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden intensiv Medikamente an Patientinnen und Patienten getestet worden. Danach hatten Medikamentenversuche eher sporadischen Charakter, ab 1980 wurden neue Substanzen vermehrt auch im Zusammenhang mit der Schlafforschung getestet. Zu diesem Schluss kommt eine am Mittwoch publizierte Studie der Universität Bern.
Konkret nahmen die Forscher rund 830 Patientenakten unter die Lupe. Aufgrund der Stichprobe könne davon ausgegangen werden, dass im Untersuchungszeitraum mehrere hundert Patientinnen und Patienten in Medikamententests involviert waren, heisst es in einer Mitteilung. Die genaue Zahl der Betroffenen ist jedoch nicht bekannt. Auch bei den Präparaten konnten die Wissenschafter «keine eindeutigen Kriterien» feststellen. In den Unterlagen identifizierten sie 31 Versuchspräparate.
Besonders heikel: Für den Zeitraum vor 1980 gibt es keine Hinweise darauf, dass die Patientinnen und Patienten aufgeklärt wurden und den Tests zugestimmt haben. Erst danach wurden national und international zunehmend ethische und rechtliche Richtlinien erarbeitet und auch in Königsfelden eingeführt.
Im Rahmen der Aufsichtspflicht der Politik waren die Tests kaum ein Thema und haben auch kaum Spuren in Protokollen und Unterlagen hinterlassen. Erst ab 1981 musste die Klinikleitung der Kommission regelmässig über laufende Forschungstätigkeiten informieren. Die Studie hält fest, dass die Aufsichtskommission ihre Kontrollaufgabe in medizinischen Belangen «lange äusserst locker und oberflächlich» interpretierte, der Klinikleitung «grösstmögliche Autonomie» zugestand und im Gegenzug auf deren Kompetenz vertraute.
In der Mitteilung bedauert der Aargauer Regierungsrat, wenn Betroffenen ein Unrecht widerfahren sei und die Aufsichtskommission ihre Aufsichtspflicht mangelhaft wahrgenommen habe.
Bereits letztes Jahr förderte ein Forschungsbericht ähnliche Vorfälle an der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen TG zutage. Dort wurden zwischen 1946 und 1980 an mindestens 3000 Patienten Medikamente getestet. Als Dreh- und Angelpunkt fungierte der Arzt und Klinikdirektor Roland Kuhn.
Neben der Klinik Münsterlingen und den Pharmafirmen war ein breites Netz von Institutionen und Personen in die Versuche einbezogen: stationäre und ambulante Patienten, deren soziales Umfeld, privat praktizierende Ärzte, andere Kliniken und Behörden. Kuhn soll für die Versuche 3,5 Millionen Franken erhalten haben.