«Reiche aus der Watte packen»

Dank Bankgeheimnis und Verrechnungssteuer können Gutverdienende von Steuer-Unehrlichkeit profitieren. Für HSG-Professor Manfred Gärtner ein Grund, das Bankgeheimnis abzuschaffen.

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Ein Stapel Steuererklärungen im Steueramt auf der Stadtverwaltung von St. Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Ein Stapel Steuererklärungen im Steueramt auf der Stadtverwaltung von St. Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Herr Gärtner, Sie nennen in Ihrer jüngsten Studie die Verrechnungssteuer «sozial nicht gerecht». Warum?

Manfred Gärtner: Die Verrechnungssteuer ist im Zusammenspiel mit dem Bankgeheimnis aus zwei Gründen sozial ungerecht: Zum einen zwingt sie nur weniger gut Verdienende, ihre Privatsphäre preiszugeben. Bei den sehr gut Verdienenden ist es in der Regel umgekehrt. Sie können auf ihrer Privatsphäre bestehen und werden dafür noch finanziell belohnt. Unsozial und letztlich undemokratisch sind Verrechnungssteuer und Bankgeheimnis auch, weil sie gut Verdienenden ein Schlupfloch bieten, sich der vom Souverän gewollten Umverteilung der Einkommen zu entziehen.

Eine Folgerung aus diesem Befund kann heissen: Das Bankgeheimnis knacken. Ja oder nein?

Gärtner: Wem soziale Gerechtigkeit und Demokratie wichtig sind, der muss in diese Richtung weiter denken.

Eine zweite Folgerung kann lauten: Die Verrechnungssteuer erhöhen. Ja oder nein?

Gärtner: Das würde auf jeden Fall zu mehr Gerechtigkeit führen, und die Kantone erhielten die Steuern, die ihnen zustehen. Mit der Privatsphäre wäre es aber auch vorbei. Und dann könnten wir eigentlich gleich das Bankgeheimnis abschaffen.

Eine dritte mögliche Folgerung: Die Grenzsteuersätze reduzieren. Ja oder nein?

Gärtner: Davon profitieren ja, wie heute, wieder nur die sehr gut Verdienenden. Also nein.

Inwieweit würden die Abschaffung des Bankgeheimnisses oder die Erhöhung der Verrechnungssteuer zu einer Abwanderung Wohlhabender führen?

Gärtner: Diese Drohung kommt immer, wenn man Reiche aus der Watte packen will. Wenn sie ins europäische Ausland abwandern, kommen sie vom Regen in die Traufe. Und ob alle auf den Kanalinseln oder in Monte Carlo aufeinanderhocken wollen, bezweifle ich doch.

Und inwieweit würde eine Reduzierung der Grenzsteuersätze mit dem Problem leerer Staatskassen in vielen Kantonen kollidieren?

Gärtner: Das ist ein weiterer Grund, warum eine Reduzierung der Grenzsteuersätze die falsche Antwort auf das Problem wäre.

Haben Sie Informationen darüber, wie viele Menschen, die von Steuer-Unehrlichkeit profitieren könnten, dies auch tatsächlich tun?

Gärtner: Meine Studie zeigt eigentlich nur das Potenzial auf: Welche Einkommensgruppen profitieren in den verschiedenen Kantonen, wenn sie Kapitaleinkünfte verschweigen. Wie viele dies tatsächlich tun, das verbirgt sich hinter dem Bankgeheimnis.

Wird sich das Problem der Steuer-Unehrlichkeit weiter zuspitzen, da es immer mehr Wohlhabende gibt und das Vermögen der Wohlhabenden immer weiter zunimmt?

Gärtner: Eine Zuspitzung muss und wird es wohl nicht geben, da die Steuertarife in bestimmten Abständen an die Entwicklung der Einkommen angepasst werden. Das Problem ist aber auch so bereits ernst genug und bedarf, gerade auch in der direkten Demokratie, einer offenen Debatte.

Wie kommt es, dass ein Professor einer liberalen Wirtschaftsuniversität für soziale Gerechtigkeit und die Abschaffung des Bankgeheimnisses plädiert?

Gärtner: Da schätzen Sie die HSG und das Spektrum der vertretenen Positionen falsch ein. Auch heisst liberal nicht kalt, blind und dumm: Wer nach fünf Jahren Krise nicht begriffen hat, dass Märkte nicht alles richten und es einen aktiven Staat braucht, dem ist nicht zu helfen. Und warum soll dieser Staat dann immer nur gefährdete Schäfchen der Reichen ins trockene bringen, statt denen unter die Arme greifen, die im Leben weniger Glück hatten?

Interview: Thomas Griesser Kym

Manfred Gärtner Professor für Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen (Bild: Quelle)

Manfred Gärtner Professor für Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen (Bild: Quelle)