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Wirtschaft
Seit einem Jahr führt das Land einen Versuch für ein Grundeinkommen durch. Während Testpersonen sich positiv äussern, sind nur 39 Prozent der Finnen für die dauerhafte Einführung.
Niels Anner, Kopenhagen
Zuerst verstand Layra Gedião kein Wort in dem Brief auf Finnisch. Die Brasilianerin lebt seit fünf Jahren in der Hafenstadt Turku, doch ihr Mann ist Finnlandschwede, und sie spricht nur Schwedisch, die zweite Landessprache. «Ich dachte, ich bekäme Ärger mit den Behörden, würde vielleicht ausgeschafft», sagt die 28-Jährige. Doch es folgte die Klärung – zwei Wochen später erhielt Gedião staatliches Geld auf ihr Konto, 560 Euro pro Monat, steuerfrei, ohne Gegenleistung.
Sie wurde als eine von 2000 Personen aus ganz Finnland ausgewählt, um am seit Anfang Jahr international umfangreichsten Grundeinkommen-Experiment teilzunehmen. Bedingungslos ist dieses allerdings nur bedingt: Berücksichtigt wurden nur Personen ohne Job, denen nun statt Arbeitslosengeld das Grundeinkommen ausbezahlt wird. Laut Gedião macht das jedoch einen grossen Unterschied: «Ich arbeitete früher stundenweise in einer Krippe. Jeder Euro, den ich verdiente, wurde vom Arbeitslosengeld abgezogen.» Das Grundeinkommen dagegen kann sie behalten, egal wie viel sie nebenbei verdient. Es sei ein sicherer Zustupf, der die Angst vor finanziellen Engpässen mindere.
Gedião hat finnische Gepflogenheiten verinnerlicht: Mann und Frau arbeiten, verdienen ihr eigenes Geld. Entsprechend hat sie sich seit ihrer Ankunft aus Rio de Janeiro um Sprachkenntnisse und Jobs bemüht. Sie fühlt sich wohl in Finnland, trotz des Klimas. «Es ist ein Land, das funktioniert, nicht korrupt ist, in dem Frauen eine starke Stellung haben und Ausbildung wichtig ist.» Das Grundeinkommen mache hier Sinn, weil es die Jobmöglichkeiten ergänze, sagt die Mutter einer vierjährigen Tochter. Die rechtsbürgerliche Regierung sieht den «Bürgerlohn» als Anreiz für Arbeitslose – und als Mittel zur Verschlankung der Verwaltung.
Die finanzielle Situation Gediãos verbesserte sich im Januar schlagartig, zumal die gelernte Primarlehrerin auch ein halbjähriges bezahltes Praktikum in der Universitätsbibliothek absolvieren konnte. Dieses ist nun zu Ende, doch die Stabilität bleibt: Sie könne mit dem fixen Einkommen rechnen, plus kleine Jobs annehmen, während sie sich zur Informationsspezialistin weiterbilde. Vorher hätten sich solche Jobs kaum gelohnt, zudem kämpfe man gegen ein bürokratisches System an, «unzählige Formulare auf dem Arbeitsamt, der Stress, jeden Monat Bewerbungen einzureichen – und das Geld wurde nur unregelmässig ausbezahlt».
Das finnische Experiment läuft noch bis Ende 2018. Erst dann will die Sozialversicherungsanstalt Kela Analysen publizieren und Aussagen zu den Erfahrungen machen. Einzelne Versuchspersonen haben sich aber in den Medien geäussert und eine erste Bilanz gezogen. Viele teilen die Einschätzungen von Layra Gedião, sie fühlen sich befreit von «idiotischen Kursen» und Vorschriften. Stattdessen könne man die Zeit wesentlich sinnvoller nutzen, sagt Sini Marttinen aus Helsinki. Die 31-Jährige machte sich als Beraterin im Sozialbereich selbstständig und nimmt nun flexibel Aufträge an – mit einem «Sicherheitsnetz». Ein anderer Teilnehmer ist überzeugt, dass das Grundeinkommen die finnische Start-up-Kultur weiter stärkt und die Zahl der Steuerzahler erhöht. Alle Empfänger betonen, das Staatsgeld wirke motivierend. «Es ist zu wenig, um nur auf dem Sofa zu sitzen – und das will auch niemand», sagt Gedião. Zudem werde der Konsum angekurbelt, sie leiste sich nun öfter etwas.
Den positiven Erfahrungen steht in Finnland jedoch lautstarke Kritik gegenüber. Wie bei der in Schweiz 2016 abgelehnten Vorlage betrifft sie die Finanzierbarkeit. Wollte man das Grundeinkommen auf die ganze Bevölkerung ausdehnen, würde dies Steuererhöhungen bedingen, sagt die grösste Gewerkschaft des Landes. Oder aber das Grundeinkommen könnte laut Berechnungen der OECD eine Zunahme der Armut zur Folge haben – dann, wenn die vielen verschiedenen Sozialleistungen ersetzt würden. Senioren und alleinstehende Eltern träfe es am härtesten, während Studierende profitierten.
Aufgrund der Komplexität wird auch zunehmend moniert, das Experiment sei mit 2000 Personen zu klein angesetzt. Der Sozialwissenschafter Olli Kangas, der das jetzige Design mitentworfen hat, hält eine Ausweitung für nötig: Es müssten auch Geringverdiener und andere Gruppen aufgenommen werden. Die oppositionellen Grünen fordern, dass die Zahl der Teilnehmer auf 10'000 erhöht wird. Von der Regierung gibt es indes keine Signale, wie sie weiter verfahren will. Kangas sagt, er habe das Gefühl, der Enthusiasmus in der Regierung sei gesunken; die Diskussion drehe sich zunehmend um an Bedingungen geknüpfte Sozialleistungen.
Dies würde der Stimmung in der Bevölkerung Rechnung tragen. In einer Umfrage befürworteten nur 39 Prozent der Befragten das Grundeinkommen. Rund die Hälfte ist dafür, wenn es an Personen ausbezahlt wird, die einen Job haben, insbesondere an Geringverdiener.