KAPITALISMUS: Das Vermögen der Superreichen wächst rasant

Die Schere zwischen Arm und Reich ist längst weit offen. Doch jetzt hängen die Ultrareichen auch die Reichen ab. Hat der Kapitalismus ein Problem?

Daniel Zulauf
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Szene an der Londoner Metallbörse, aufgenommen 1980. (Bild: Peter Marlow/Keystone/Magnum Photos)

Szene an der Londoner Metallbörse, aufgenommen 1980. (Bild: Peter Marlow/Keystone/Magnum Photos)

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Die wohlhabendsten 10 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung besitzen zwischen 85 Prozent und 90 Prozent der weltweiten Privatvermögen. Das ist zwar ungemein viel, aber immerhin ist die Zahl seit Jahrzehnten einigermassen konstant. Ein Hingucker ist schon eher die Vermögensmehrung der Millionäre. Das reichste eine Prozent hat seinen Anteil am globalen Wohlstandskuchen seit der Jahrtausend­wende von 45 Prozent auf über 50 Prozent erhöht. Kein Wunder, ist die Zahl der Millionäre im gleichen Zeitraum um 170 Prozent auf 33,8 Millionen hochgeschnellt. Aber wirklich spektakulär ist der Boom der Ultrareichen: das sind jene Personen, die nach Definition des in der vergangenen Woche veröffentlichten «Credit Suisse Global Wealth Report» ein Vermögen von 50 Millionen Dollar besitzen. Die Mitgliederzahl dieses exklusiven «Klubs» hat sich seit dem Millenniumswechsel – also in weniger als 20 Jahren – verfünffacht auf aktuell rund 150 000.

Börsenkurse und Monopolstrukturen

Was sind die Gründe dieser Vermögenskonzentration, wie sie in allen Weltregionen, besonders ausgeprägt aber in den USA, zu beobachten ist? Die Autoren des «Global Wealth Report» tippen unter anderem auf den Effekt von Finanzanlagen, die an den Vermögen der Ultrareichen typischerweise einen hohen Anteil haben. Und tatsächlich ist der Weltindex für Aktien seit Anfang 2000 um rund 45 Prozent gestiegen. Doch die gestiegenen Börsenkurse allein vermögen nicht zu erklären, weshalb es in den vergangenen 17 Jahren 120 000 neue «Ultra High Net Worth Individuals» gegeben hat, wie die Kaste in der Bankersprache heisst.

Weiter führt eine These, für deren Richtigkeit es in der Geschichte viele Anhaltspunkte gibt und wie sie auch von Bankern mit einschlägiger Kundenerfahrung bestätigt wird. So wie der schwedische Grossindustrielle Alfred Nobel im 19. Jahrhundert mit Hilfe von Patenten sein immenses Vermögen machte, bilden monopolistische Marktstrukturen auch heutzutage noch – oder vielleicht genauer gesagt wieder – die Grundlage für die neue goldene Zeit der Superreichen. Im Mai 2015 präsentierten die UBS und das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers (PWC) der Öffentlichkeit die Resultate ihrer Untersuchung über die Entstehung der grössten Privatvermögen seit 1995 in den 14 Ländern mit den meisten Milliardären. Deren bevorzugtes Geschäftsumfeld seien in vielen Fällen Monopolstrukturen, resümierte Studienleiter Matthias Memminger eine Schlüsselerkenntnis, wie sie aus den insgesamt 30 einstündigen Interviews mit Milliardären gewonnen wurde.

Wer denkt, dass dieser Befund vor dem Hintergrund der Geschichte der Rockefellers, der Nobels oder der Thyssens keine Überraschung sein sollte, verkennt, dass seit jenen Gründerzeiten in allen Industrieländern ein Wettbewerbsrecht entstanden ist. Zwar kann auch ein modernes Wettbewerbsrecht Monopole beziehungsweise einen Schutz vor Wettbewerb zulassen, aber nur für eine beschränkte Zeit und nur unter der Bedingung, dass für die Allgemeinheit ein Nutzen beispielsweise in der Form einer gesteigerten Innovationskraft herausschaut.

Hinweise auf Missbräuche

Genau daran aber zweifelt inzwischen eine wachsende Zahl von Ökonomen. Unter ihnen der erst 38-jährige Zürcher Wirtschaftsprofessor David Dorn (Universität Zürich). Dorns Schwerpunkt in der Forschung sind die Auswirkungen des technologischen Wandels und der Globalisierung auf die Arbeitsmärkte. Dazu hat er zusammen mit amerikanischen Kollegen bereits wegweisende Erkenntnisse publiziert. Darunter der Aufsatz «The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms». In dem Papier verweisen die Forscher auf die stark zunehmende wirtschaftliche Macht einiger weniger Grossfirmen, die innerhalb ihrer Branche einen immer grösseren Anteil der Verkäufe auf sich vereinigen.

Eine solche Marktkonzentration ist natürlich das Gegenteil von dem, was sich ein Konsument wünschen kann, denn die Firmen wissen ihre Macht zur Maximierung ihrer Gewinne auszuspielen. Auch für solche Missbräuche gibt es in der neuen ökonomischen Forschung starke Hinweise.