Am Donnerstag startet die Kampagne zur Vollgeld-Initiative. Diese weckt nicht nur die Neugier vieler Wirtschaftsforscher, sondern auch die Sorgen der Schweizer Banken und Regierung.
Daniel Zulauf
Im Zug der Politikverdrossenheit, den breite Bevölkerungskreise in allen Industrieländern schon seit längerer Zeit zum Ausdruck bringen, erhalten die periodischen direktdemokratischen Experimente in der Schweiz ungewohnt viel Aufmerksamkeit. Das Interesse aus aller Welt kommt nicht von ungefähr. Die Inhalte der Volksinitiativen, welche es den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern erlauben, selber in die Rolle des Gesetzgebers zu schlüpfen, treffen nicht selten den Nerv der Zeit. Zudem haben die Eidgenossen gerade in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass sie zu Überraschungen an der Urne fähig sind.
Am 10. Juni steht mit der Vollgeld-Initiative ein weiterer Urnengang an, von dem sich heute schon sagen lässt, dass er im Ausland viele interessierte Zuschauer haben wird. Das zeigt allein schon die Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirates der Initianten, in dem sich Professoren und Dozenten aus verschiedenen Ländern zusammenfinden. Als einen der geistigen Väter der Initiative bezeichnet Kampagnenmitglied Raffael Wüthrich den emeritierten deutschen Soziologieprofessor Joseph Huber.
Die Vollgeld-Initiative sei kein Antiwachstumsprogramm, betont Wüthrich im Wissen, dass ein solches in einem Urnengang einen schweren Stand hätte. Das Vollgeld-System verschaffe den Menschen vielmehr die Möglichkeit zur Wahl.
Nach der Überzeugung der Initianten führt das bestehende System der Geldschöpfung unweigerlich zu Fehlentwicklungen, die sich mit einem Systemwechsel vermeiden liessen. Stein des Anstosses ist für die Vollgeld-Befürworter das sogenannte Teilreservesystem. Wenn die Geschäftsbanken Kredite vergeben, dürfen sie die ihr anvertrauten Kundengelder indirekt für deren Refinanzierung verwenden. Die Kundengelder stellen aber kein Geld im herkömmlichen Sinn dar. Man bezeichnet es deshalb als Buchgeld. Im Unterschied zu Münzen und Banknoten ist Buchgeld bloss eine Forderung gegenüber der Notenbank. Natürlich ist der Kontobesitzer jederzeit ermächtigt, seine Forderung in «echtes» Geld, in Münzen und Noten, zu tauschen, die eine entsprechende Deckung der Notenbank besitzen. Weil dies unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen nicht geschieht, haben die Geschäftsbanken viel mehr (Buch-) Geld zur Finanzierung ihre Kreditgeschäftes zur Verfügung, als das Volumen der eng definierten Notenbankgeldmenge angibt.
Dahinter steckt die Geldschöpfung des Bankensystems, das nach Auffassung der Vollgeld-Initianten weder legitim noch vernünftig ist. Die private Geldschöpfung sei in der Verfassung nicht vorgesehen, und sie sei, getrieben durch die Profitmotive der Geschäftsbanken, einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung abträglich.
Erkennbar werden die feinen, aber wichtigen Nuancen im bestehenden Geldsystem typischerweise aber erst in Krisenzeiten. Dann zum Beispiel, wenn eine Geschäftsbank von einer Insolvenz bedroht ist. In einem solchen Fall werden alle Kunden mehr oder weniger gleichzeitig versuchen, ihre Konti zu plündern beziehungsweise ihre Buchgeldforderungen in Bargeld umzutauschen. Dieser Schaltersturm treibt die Bank endgültig in den Ruin. Die Kunden verlieren ihre Einlagen, sofern sie nicht staatlich (mit Steuergeldern) gesichert sind, oder das im Einlagensicherungssystem definierte Maximum von 100 000 Franken übersteigen. Dass die Idee zur Lancierung einer Vollgeld-Initiative 2009 just in der Schweiz geboren wurde, ist nicht nur dem hiesigen politischen System, sondern auch der dramatischen Bankenkrise geschuldet, die im Herbst 2008 in der staatlichen Rettung der UBS gipfelte.
In einem Vollgeld-System könnten die Banken nur noch in dem Ausmass Kredite sprechen, in dem sie von der Notenbank direkt refinanziert würden. Sie wären also keine Kreditgeber mehr im herkömmlichen Sinn, sondern eher Kreditvermittler. Ihre Bilanzen würden zu einem Bruchteil dessen schrumpfen, was sie heute sind. Denn letztlich stünden die Ausleihungen und die dafür nötigen Darlehen nicht mehr in den Vermögensrechnungen der Geschäftsbank, sondern in der Bilanz der Notenbank. Die Nationalbank müsste sich somit in der einen oder anderen Form direkt mit der Qualität der auf ihrer Bilanz liegenden Kredite auseinandersetzen. Diese Zentralisierung ist eines von vielen Argumenten, mit denen die Nationalbank gegen das Vollgeld-System argumentiert. Nach ihrer Auffassung bringt die geltende Arbeitsteilung trotz wiederkehrender Krisen die besseren Ergebnisse.
Die Nationalbank befürchtet auch, dass Kredite im Vollgeld-System teurer werden könnten und das Wirtschaftswachstum bremsen. Auch Zwischenformen von Vollgeld wie die Schaffung von digitalem Notenbankgeld für das breite Publikum (E-Franken) lehnt sie ab. Eine Koexistenz von Buchgeld und digitalem Notenbankgeld könne sich in einer nächsten Krise destabilisierend auf das Finanzsystem auswirken, wenn das Publikum aus Sicherheitserwägungen nur noch Notenbankgeld nachfragen würde.
Derweil die technische Umsetzbarkeit des Vollgeld-Systems kaum bestritten wird, brächte der radikale Wechsel auf ein weltweit noch unerprobtes und wenig erforschtes System nach einhelliger Meinung von Nationalbank, Regierung und allen grossen politischen Parteien im Land erhebliche volkswirtschaftliche Risiken mit sich. Dass die Vollgeld-Sympathisanten in aller Welt ein solches Experiment zumal in einem wirtschaftlich bedeutenden Land nur allzu gerne sehen möchten, versteht sich von alleine. Verständlich ist aber auch der Ärger mancher Schweizer Politiker, welche die Schweiz davor bewahren wollen, zum Experimentierlabor einer internationalen monetären Reformbewegung zu werden. In der offiziellen Kampagne, die am kommenden Donnerstag anrollt, wollen die Vollgeld-Initiatoren den ideologisch aufgeladenen Diskurs entschärfen.