DIGITALISIERUNG: «Der Aufbau von Wissen ist wichtig»

Die Unternehmerinnen Anat Bar-Gera und Shira Kaplan über ihre Schweizer Firma Cyverse, das Unternehmertum in Israel und auf welche Weise sich Karriere und Muttersein vereinigen lassen.

Thorsten Fischer
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Die israelischen Unternehmerinnen Anat Bar-Gera (links) und Shira Kaplan am St. Gallen Symposium. (Bild: Michel Canonica (St. Gallen, 5. Mai 2017))

Die israelischen Unternehmerinnen Anat Bar-Gera (links) und Shira Kaplan am St. Gallen Symposium. (Bild: Michel Canonica (St. Gallen, 5. Mai 2017))

Interview: Thorsten Fischer

Shira Kaplan und Anat Bar-Gera, der digitale Wandel formt unser Leben schneller um als vor ein paar Jahren. Gibt es auch schnellen Wandel, was Cyber-Bedrohungen und Internetrisiken angeht?

Shira Kaplan: Absolut. Je stärker wir verbunden sind, desto verletzlicher sind wir. Und wenn alles miteinander verbunden wird – unsere Telefone, unsere Portemonnaies, das Finanzsystem, unsere Autos und auch kritische Infrastrukturen –, dann wird alles verletzlicher für Attacken. Die Antwort ist daher ein klares Ja.

Was ist mit der Wahrnehmung dieser Risiken in der Gesellschaft oder in den Unternehmen? Werden die Risiken genügend erkannt?

Anat Bar-Gera: Sie sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten. Zur aktuellen Lage gibt es auch einen Witz, der besagt, dass man zwei Arten von Unternehmen finden kann: Jene, die gehackt wurden, und jene, die immer noch nicht wissen, dass sie gehackt wurden. Grundsätzlich sind vielen Firmen die Cyberrisiken zu wenig bewusst. Gleichzeitig gibt es einige Unternehmen, die Massnahmen ergreifen, und in spezifischen Fällen gibt es auch regulatorisch Bewegung. Wie etwa in der Schweiz durch die Finma, die klarmacht, wie Banken sich gegen Cyberattacken schützen sollen. Aber Regulierung ist nicht immer die Antwort. Unternehmen sollten aus einem Gespür der Dringlichkeit handeln, um sich selber gegen Cyberattacken zu schützen, und nicht nur auf Vorschriften reagieren.

Dennoch könnten manche, die die Sicherheitsdebatte verfolgen, zum Schluss kommen: Es ist besser, die digitale Welt zu meiden, weil sie als zu gefährlich erscheint. Zugleich lautet die Botschaft Ihrer und anderer Firmen: Ein Schutz ist möglich. Sogar und auch dann, wenn diese Bedrohungen nicht direkt sichtbar

sind?

Kaplan: Der beste Weg, dies zu veranschaulichen, sind die Sicherheitsvorkehrungen in der physischen Welt. Wir schützen unser Eigenheim vor Dieben, wir schützen unser physisches Geld in einem Safe in einer Bank, und wir sichern unsere Autos ab. Cybersecurity tut genau dasselbe, aber auf einer virtuellen Ebene. Wir können die Bedrohungen nicht ignorieren. Sie sind vorhanden und sie nehmen zu. Deshalb wird Cybersecurity wahrscheinlich noch wichtiger werden als physische Sicherheitsmassnahmen. Es gibt zwar Bewegungen, die sich vom Internet abkoppeln wollen – aber in grossem Stil wird das nicht funktionieren.

Ihre Firma Cyverse ist präsent in der Schweiz und in Tel Aviv. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Israel und der Schweiz, was Unternehmertum und Technologien angeht?

Kaplan: Es gibt in Israel eine grosse Wahrnehmung dafür, Risiken einzugehen. Wir befinden uns geopolitisch an einem sehr risikoreichen Ort. Bei allem, was wir tun, geht es deshalb darum, es schnell zu tun, es jetzt zu tun und Risiken in Kauf zu nehmen. Das schafft ein starkes Ökosystem, eine Geisteshaltung, die man auch in jungen Start-up-Firmen finden kann. Die Schweiz hat Unternehmergeist in verschiedenen Gebieten. Sie geht aber weniger Risiken ein. Denn sie fühlt sich geschützt und handelt daher nicht mit derselben Art der Vordringlichkeit.

Bar-Gera: Man kann durchaus sagen, dass in Israel viel Technologie in der Armee entstanden ist. Die Regierung investiert Geld, um die Verteidigung des Landes off- und online sicherzustellen. Wenn die Leute später die Armeeausbildung abschliessen und im zivilen, kommerziellen Leben starten, eröffnen sie ihre eigenen Start-ups. Viel Wissen wird in den Universitäten aufgebaut. Es gibt ein Ökosystem, das sehr erfolgreich kooperiert: Regierung, Universitäten, Armee und die Gemeinschaft der Firmen. Allein im Segment der Cybersecurity gibt es in Israel 400 Start-ups, in anderen Hightech-Gebieten noch deutlich mehr als das.

Manche der Unternehmen sind ja dann auch international an die Börse gegangen.

Bar-Gera: Es gab eine Reihe sehr erfolgreicher Firmen wie Check Point und andere, die in den USA den Schritt an die Börse gemacht haben. Wenn die Gründer dieser Firmen dann ihr Geld erhalten, neigen sie dazu, es in neue Start-ups zu investieren – ein dichtes und funktionierendes Ökosystem eben. In Israel wird in diesem Zusammenhang auch vom Silicon Wadi gesprochen, dem arabischen Wort für Valley respektive Tal. Ein weiterer Punkt ist, wie über Geschäftsrisiken und Scheitern gedacht wird: Versagen wird akzeptiert und ist in Ordnung.

Kaplan: Ich stimme zu. Es handelt sich um einen sehr bedeutsamen Punkt. Die Möglichkeit, es versuchen zu können und scheitern zu dürfen, ist definitiv wichtig. Anders als in Israel, wird Scheitern in hiesigen Breitengraden häufig nur als grosser Rückschlag gesehen.

Welche Sektoren sind es, die in Israel besonders stark wachsen?

Bar-Gera: Hightech im allgemeinen, Medizinaltechnik, aber auch künstliche Intelligenz, Blockchain und Fintech. Insgesamt legt das Bildungssystem grosses Gewicht auf Mathematik, Physik und Ingenieurwesen.

Kaplan: Die Hightech-Orientierung ist auch deshalb so stark, weil wir nicht viele natürliche Ressourcen haben. Was wir haben, ist unser Verstand und das Wissen, das wir aufbauen können.

Israel wird oft als Start-up-Nation bezeichnet. Gibt es denn auch einen hohen Anteil an Unternehmerinnen?

Kaplan: Natürlich. Einer der Gründe ist, dass Frauen und Männer zusammen in die Armee gehen. Es gibt für beide die Dienstpflicht. Und aus dieser Perspektive können sich beide auf dieselbe Weise entwickeln und werden gleichwertig aus­gebildet. Wenn der Dienst ab­geschlossen ist, haben beide dann die exakt selben Möglichkeiten.

Andrerseits gibt es in der Laufbahn von Frauen immer wieder die klassische Frage nach dem Familienleben. Welche Ansicht hat jede von Ihnen in dieser Sache?

Anat Bar-Gera: Ich habe drei grossartige Kinder. Und gleichzeitig habe ich erfolgreich fünf Telekom- und Internetfirmen gestartet, ich sitze in verschiedenen Gremien, leitend und beratend zum digitalen Wandel. Es gibt also keinen Grund, die Familie wegen einer Karriere aufzugeben.

Shira Kaplan, Sie sind ebenfalls Geschäftsfrau und Mutter. Was ist ihr Rat?

Kaplan: Wenn ich junge Frauen an den Universitäten betreue, sage ich ihnen stets: Opfert nicht das Muttersein. Das heisst: Ihr könnt beides machen. Und fangt nicht zu spät damit an, das ist es nicht wert. Wenn du Glück hast und jemanden hast, starte eine Familie. Die Grundlage ist die Familie. Und rund um die Familie wird dann alles andere aufgebaut.

Spezialisten für Daten

Shira Kaplan ist Chefin und Mitgründerin der Firma Cyverse im zürcherischen Küsnacht. Die Firma hat einen weiteren Sitz in Tel Aviv. Cyverse bietet Datensicherheitslösungen für die Sektoren Energie, Finanzwesen, Versicherung und Pharma an. Kaplan erwarb ihr Wissen als Datenspezialistin unter anderem in der israelischen Armee respektive in einer Geheimdiensteinheit. Später studierte sie in den USA und ebenso an der Universität St. Gallen (HSG). Präsidentin von Cyverse ist Anat Bar-Gera. Sie hat mehrere Internet- und Telekomfirmen aufgebaut. Zu den Zielen von Cyverse gehört es, «Europa mit Israels Cybersecurity-Universum zu verbinden». (T.F.)