Das Internet ist ein wichtiges Rekrutierungsmittel für Terroristen. Der Nachrichtendienstchef wünscht sich deshalb mehr Kompetenzen in diesem Bereich. Doch damit sind nicht alle einverstanden.
BERN. Es ist paradox: Die Jihadisten des IS träumen von einem mittelalterlichen Staat. Gleichzeitig nehmen die Terroristen zur Rekrutierung ihrer Kämpfer modernste Technologien zur Hilfe: Im Internet betreiben sie eine beispiellose Propagandamaschinerie. Diese wirkt: Bereits sind Tausende Europäer ins Kriegsgebiet in Syrien und in Irak gereist, darunter auch Schweizer.
Das stellt auch die Behörden beim Kampf gegen Terrorismus vor neue Herausforderungen. «Soziale Medien ermöglichen es, dass sich junge Leute radikalisieren, ohne dass ihre Familie etwas mitbekommt», sagte Nicoletta della Valle, Direktorin des Bundesamts für Polizei Fedpol, gestern bei der Präsentation eines Berichts über jihadistischen Terror. Der Bericht wurde von einer Task Force erstellt, in der Behörden von Bund und Kantonen vertreten sind.
Seit zwei Jahren beobachtet der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) das Geschehen in den Sozialen Medien genauer. Das sogenannte Social-Media-Monitoring ist laut dem Bericht «ein nützliches Mittel, um Risikoprofile ausfindig zu machen» – sprich: um Personen aufzuspüren, die Sympathien für extremistische Ideologien hegen. Findet der NDB Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten, leitet er den Fall ans Fedpol weiter. Bei Straftatverdacht kann die Bundeskriminalpolizei ein Ermittlungsverfahren einleiten.
NDB-Chef Markus Seiler wies darauf hin, dass dem Geheimdienst im Internet Grenzen gesetzt seien. «Wir können uns beispielsweise nicht in geschlossene Netze einhacken», erklärte er an der Medienkonferenz. Er nutzte damit die Gelegenheit, um für das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) zu werben. Das Gesetzesprojekt kommt in der nächste Woche beginnenden Frühjahrssession in den Nationalrat. Mit ihm soll der Nachrichtendienst die Möglichkeit erhalten, unter bestimmten Voraussetzungen in Computer einzudringen sowie Telefone anzuzapfen und private Räume zu verwanzen.
Auch Nicoletta della Valle wies auf die Bedeutung des neuen Gesetzes hin. Auf die Frage, wo sie Lücken bei der Terrorbekämpfung in der Schweiz sehe, erklärte sie, es seien vor allem jene, die durch das neue NDG sowie das neue Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) geschlossen werden sollten. Die Revision des Büpf, die ebenfalls vor der Behandlung durch den Nationalrat steht, sieht vor, dass Fernmeldeanbieter Daten, wer wann wie lange mit wem kommuniziert hat, zwölf statt wie bisher sechs Monate speichern müssen.
Dass der NDB mehr Kompetenzen zur Überwachung im Internet erhalten soll, stösst allerdings nicht nur auf Zustimmung. Kritik übt etwa der grüne Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli. «Die meisten relevanten Informationen sind öffentlich zugänglich», sagte er gestern auf Anfrage. Zur Überwachung verschlüsselter Kommunikation sind zwar auch aus seiner Sicht zusätzliche Möglichkeiten nötig. «Diese braucht aber nicht der Nachrichtendienst, sondern die Strafverfolgungsbehörden.»
Der Nachrichtendienst missbrauche eine Situation, in der viele Menschen verständlicherweise Angst hätten und verunsichert seien, um neue Kompetenzen zu fordern, kritisierte Glättli. Die heutigen Mittel reichen aus seiner Sicht aus. «Bei einem Anfangsverdacht können Richter heute schon Überwachungsmassnahmen anordnen», sagt Glättli.
Abgesehen vom NDG und Büpf sieht Fedpol-Chefin della Valle «keine Lücken» im Schweizer Abwehrdispositiv gegen jihadistischen Terror. Ganz umsonst war die Arbeit der Task Force aus ihrer Sicht dennoch nicht. So habe sie dazu beigetragen, dass der Informationsfluss zwischen den verschiedenen Stellen (Nachrichtendienst, Fedpol, Bundeskriminalpolizei, Grenzwache und Kantonspolizeien) besser und schneller funktioniere. Die Task Force habe die Erkenntnis gebracht, dass eine enge Zusammenarbeit nötig sei, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen, erklärte della Valle.
Konkrete Hinweise auf die Gefahr eines Terrorangriffs in der Schweiz gibt es laut NDB-Direktor Seiler zurzeit zwar nicht. Wohl aber eine abstrakte Bedrohung, erklärte er. Daran habe sich durch die Anschläge in Paris und zuletzt in Kopenhagen jedoch nichts geändert.