Gegen die Aufrüstung bei der staatlichen Überwachung wehren sich Informatiker wie Simon Gantenbein. Der politischen Mehrheit unterstellt er ein gefährliches Nichtwissen. Doch die Revision wird wohl durchgewunken.
Herr Gantenbein, die Revision des Bundesgesetzes über den Post- und Fernmeldeverkehr (Büpf) findet eine klare politische Mehrheit. Es scheint nicht die Zeit zu sein für Überwachungskritik.
Simon Gantenbein: Ich bin überzeugt, dass die Instrumente, die wir haben, ausreichen. Kriminelle Organisationen, terroristische Gruppierungen oder Menschenhändlerringe können bereits heute überwacht werden. Mir ist klar, dass diese Meinung derzeit nicht populär ist. Aber unsere Bedenken, vor allem grundrechtlicher Natur, müssen auch im herrschenden Klima der Angst weiterbestehen.
Sie kritisieren vor allem die geplante Verlängerung der Vorratsdatenspeicherung und den Einsatz von sogenannten Staatstrojanern.
Gantenbein: Das Recht auf Privatsphäre ist in der Verfassung festgeschrieben. Dass bei Straftätern in dieses Grundrecht eingegriffen werden muss, ist klar. Doch von der Vorratsdatenspeicherung ist die ganze Bevölkerung betroffen. Die Daten werden zwar nicht ausgewertet, aber aufgezeichnet. Auch was ein Staatstrojaner so alles anrichten kann, ist weit entfernt von rechtsstaatlichen Prinzipien.
Bleiben wir erst einmal bei der Vorratsdatenspeicherung. Diese wird längst angewendet. Mit der Revision soll lediglich erreicht werden, dass die Daten nicht sechs, sondern zwölf Monate gespeichert werden.
Gantenbein: Die Schweiz will damit eine Praxis ausbauen, der in der EU kürzlich durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Rechtsgrundlage entzogen wurde. Das ist mehr als bedenklich. Auch die Digitale Gesellschaft will die Vorratsdatenspeicherung juristisch sistieren. Unsere Klage ist derzeit am Bundesverwaltungsgericht hängig.
Staatstrojaner sollen bei Ermittlungen helfen, Computerdaten zu entschlüsseln. Was ist daran falsch?
Gantenbein: Ein Staatstrojaner ist nichts anderes als ein staatlicher Virus. Er basiert auf einer Sicherheitslücke, und die muss irgendwo auf dem Schwarzmarkt eingekauft werden. In der Informatik ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis jemand anderes dieselbe Sicherheitslücken findet – und ausnutzt. Nebst solchen Aspekten wirft das Thema Staatstrojaner aber auch ganz grundlegende Fragen auf.
Die da wären?
Gantenbein: Ich bin natürlich nicht grundsätzlich gegen Strafverfolgung, auch nicht in diesem Bereich. Doch die totale Kontrolle halte ich für eine Illusion. Die organisierte Kriminalität wird uns immer einen Schritt voraus sein. Das totale Eindringen in private Interneträume ist deshalb unverhältnismässig.
Im Internet kann doch nicht jeder einfach machen, was er will.
Gantenbein: Wenn jemand seine illegale Kinderporno-Sammlung daheim in einem Ordner hat, ist das auch kein öffentlicher Raum. Er kann sogar Fritz und Hans einladen, um die Bilder gemeinsam anzuschauen. Mit derselben Realität müssen wir im Internet leben. Die digitale Welt ist ein Pendant der echten.
Neben dem Büpf wird auch das Nachrichtendienstgesetz revidiert. Die beiden Vorlagen sind eng miteinander verknüpft.
Gantenbein: Man kann die Vorlagen schon trennen, doch sie weisen gewisse Verbindungspunkte auf. So ist etwa das neue Überwachungsmanagementsystem des Dienstes «Üpf» darauf ausgelegt, dass auch der Nachrichtendienst (NDB) damit seine Neugierde befriedigen kann. Zweitens gibt es im Büpf zahlreiche Artikel, die besagen, dass sämtliche technischen Mittel des Büpf auch dem NDB gewährt werden.
Unter denselben Auflagen?
Gantenbein: Mit dem Unterschied, dass der NDB präventiv überwacht. Das muss kein Staatsanwalt vorher unterschreiben. Der NDB bekommt zudem auch anderweitig weitreichendere Überwachungskompetenzen, etwa das Verwanzen von Wohnungen oder das Stören der Telekommunikation. Das sind Aufgaben, die, wenn überhaupt, die Bundesanwaltschaft mit dem Bundesamt für Polizei erledigen könnte.
Auch diese Revision wird wohl deutlich angenommen.
Gantenbein: Ich habe Verständnis dafür, dass Politiker sicherheitspolitische Reformen fordern. Die meisten können jedoch die Tragweite solcher Entscheid nicht erfassen, weil ihnen dazu das technische Wissen fehlt. Das halte ich für gefährlich.