Sind Straftaten im Internet Privatsache?

Simon Gantenbein äusserte sich unter dem Titel «Das Internet ist privater Raum» (Ausgabe vom 30. Oktober) kritisch zur Revision des Bundesgesetzes über die Post- und Fernmeldeüberwachung. Er unterstellt der politischen Mehrheit «ein gefährliches Nichtwissen».

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Erster Staatsanwalt, St. Gallen

Erster Staatsanwalt, St. Gallen

Simon Gantenbein äusserte sich unter dem Titel «Das Internet ist privater Raum» (Ausgabe vom 30. Oktober) kritisch zur Revision des Bundesgesetzes über die Post- und Fernmeldeüberwachung. Er unterstellt der politischen Mehrheit «ein gefährliches Nichtwissen». Aus Sicht des Strafverfolgers fragt sich allerdings, ob wirklich das Parlament oder nicht eher die Kritiker des Gesetzes nicht genau wissen, worum es geht.

Zunächst: Mit Internetüberwachung hat die Revision des Büpf nichts zu tun. Internetüberwachungen waren schon bisher zulässig und werden es auch künftig sein, sie waren und bleiben aber selten: Im Jahr 2013 wurden in der ganzen Schweiz 21 aktive Internetüberwachungen verfügt und richterlich bewilligt, und zwar ausschliesslich zur Aufklärung schwerer Straftaten. Daran wird auch die Revision des Gesetzes nichts ändern.

Datenspeicherung: Längere Frist

Der Bundesrat will die Frist zur Speicherung sogenannter Vorratsdaten von sechs auf zwölf Monate verlängern. Es geht um die Liste der anrufenden und angerufenen Nummern mit Zeitpunkt und Dauer der Verbindung, die normalerweise der Telefonrechnung beiliegt. Diese Daten speichert nicht etwa der Staat, sondern die Anbieterinnen, weil sie sie für die Rechnungstellung benötigen. Die Staatsanwaltschaft hat die Möglichkeit, solche Daten herauszuverlangen. Zusätzlich zu den Daten, die sich auf der Telefonrechnung befinden, erhält sie bei Mobiltelefonen Angaben über deren Standort zum Zeitpunkt der Gespräche.

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich eine EU-Richtlinie aufgehoben, welche die EU-Länder verpflichtet hätte, den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf diese Daten zu geben. Es gab aber im EU-Raum bisher keine einschränkenden Voraussetzungen für diese Datenerhebung. In der Schweiz ist das schon seit 1979 anders: Es braucht einen dringenden Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen; nur die Staatsanwaltschaft mit Bewilligung des Richters – nicht wie in andern Staaten oder im Sonntagskrimi die Polizei – kann die Daten herausverlangen; der Betroffene wird nachträglich über die Massnahme informiert und kann sie nochmals richterlich überprüfen lassen. Der Entscheid des EU-Gerichts bedeutet übrigens auch im Ausland nicht, dass die Anbieterinnen bestimmte Daten nicht mehr speichern dürfen, sondern lediglich, dass die Behörden sie nicht dazu zwingen können.

Es gibt in der Schweiz etwa 14 Millionen Fixnet- und Mobil-Anschlüsse. 2013 verlangten die Staatsanwaltschaften in insgesamt 6915 Fällen die Verbindungsdaten; es ging dabei in einem Drittel der Fälle um organisierten Drogenhandel, in einem weiteren Drittel um schwere Delikte gegen Leib und Leben und im letzten Drittel um schwere Vermögensdelikte. Ohne diese Daten wäre zum Beispiel die Aufklärung von Enkeltrick-Betrügen ausgeschlossen. Die Frist soll von 6 auf 12 Monate verlängert werden, weil es manchmal nicht gelingt, einen Verdächtigen innert 6 Monaten zu ermitteln; gerät er später ins Visier der Staatsanwaltschaft, dann sind seine Daten zwar wahrscheinlich bei der Telefongesellschaft noch vorhanden, aber für die Staatsanwaltschaft nicht mehr erhältlich. Nur das soll mit der Revision geändert werden.

Verschlüsselte Technologien

Der zweite umstrittene Punkt der Revision ist die Einführung der Möglichkeit, mit Computerprogrammen (sog. GovWare) verschlüsselte Kommunikation abzufangen. Wer früher SMS verschickt hat, benützt heute wahrscheinlich WhatsApp; wer früher ins Ausland telefonierte, tut das heute vielleicht über Skype. Beide Technologien sind verschlüsselt. Um sie zu überwachen, muss dem Verdächtigen unbemerkt GovWare installiert werden, welche diesen Kommunikationsverkehr unverschlüsselt an die Polizei weiterleitet. Auch das braucht eine Verfügung der Staatsanwaltschaft und eine richterliche Bewilligung.

Simon Gantenbein unterstellt, ein Staatstrojaner sei nichts anderes als ein staatlicher Virus. Das ist schlicht falsch. Die GovWare ist ein zusätzliches Programm, das vorhandene Sicherheitslücken ausnützt. Was sie tun darf, regelt das Gesetz: Sie spioniert den Computer nicht aus, sondern leitet nur verschlüsselte Kommunikation unverschlüsselt weiter. Das ist nötig, weil auch Verbrecher mittlerweile WhatsApp und Skype benützen. Der Normalbürger braucht sich nicht davor zu fürchten.