Computerspezialisten warnen im Zusammenhang mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz schon lange vor der Massenüberwachung. Nun bekommen sie Unterstützung von Funkfachleuten.
Die Aufforderung des Funkspezialisten, der uns kontaktierte, war unmissverständlich: Handy ausschalten und weit weg deponieren! Als das geschehen war, legte er los: Befürchtungen, wonach nach Annahme des Nachrichtendienstgesetzes (NDG) mit Massenüberwachung zu rechnen sei, seien überhaupt nicht übertrieben, sondern vielmehr realistisch. Die dafür nötige Technik jedenfalls sei vorhanden und in Betrieb, Überwachung längst möglich. Schlüsselworte dafür seien Achat und Ifass, die Namen zweier Systeme der Armee zum heimlichen Abgreifen von Informationen unter anderem. So die Zusammenfassung des vertraulichen Gesprächs.
Achat (eigentlich der Name eines Schmucksteins) heisst das Spionage-Auswertungssystem, das im Zentrum elektronischer Operationen der Armee in Zimmerwald BE steht. Das System macht Funkaufklärung (Auswertung von Satellitenkommunikation) und kann etwa gesprochene Sprachen – nicht nur landeseigene – «verstehen» und in Datenfiles ablegen wie Faxe und E-Mails. Dies teilweise automatisch.
Ifass wiederum ist ein äusserst leistungsfähiges militärisches Sensoren- und Effektorensystem, das schweizweit Funksignale auffangen, lokalisieren an analysieren kann. Im Verteidigungsfall können damit Angreifer abgehört und zielgenau lokalisiert werden. Auch kann das System deren Funkverkehr stören.
Zu Friedenszeiten ist der Einsatz etwa zur Lokalisierung gewaltbereiter Gruppen und zur Störung ihrer Aktivitäten durch Unterbinden der Kommunikation denkbar. Ein solcher Einsatz wäre indes «durch den Vorsteher des VBS zu genehmigen», präzisiert das VBS auf Anfrage.
Das System Achat könne mit geringfügiger technischer Ergänzung auch den Internetverkehr überwachen, weiss der Funkspezialist. Auf entsprechende Nachfrage verneint VBS-Sprecherin Karin Suini dies zwar, aber hier scheint beim Bund die definitive Sprachregelung noch nicht gefunden: In seiner Antwort auf eine Interpellation von Nationalrat Balthasar Glättli (GP/ZH) schrieb der Bundesrat 2015 nämlich explizit, dass Achat auch für die im NDG vorgesehene Kabelaufklärung (also auch zur Überwachung des Internetverkehrs) einsetzbar wäre.
Sowohl Achat als auch Ifass seien heute permanent in Betrieb, sagt der uns kontaktierende Funkspezialist. Das VBS bestätigt dies. Da es technisch nicht schwierig sei, die beiden Systeme zu vernetzen, könne mit Achat auch der Funkverkehr (also etwa Telefonate mit dem Handy) im und mit dem Inland gescannt und analysiert werden, so der Funkspezialist weiter. Das VBS verneint indes auf Anfrage, dass eine solche Vernetzung existiere.
Mit dem Hinweis auf Achat als Schlüsselsystem zur Überwachung der Kommunikation in grossem Umfang steht der Funkspezialist nicht allein. NDG-Gegner Glättli, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates, die sich mit dem neuen NDG zu befassen hatte, äussert sich ebenfalls in diese Richtung: Achat sei ein System, dessen Vorgänger mit dem Namen Onyx bereits 2004 von der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments als System zur Massenüberwachung bezeichnet worden sei. Was er nicht sagt, aber meint: Nachfolgesysteme können in aller Regel mehr als ihre Vorgänger.
Bleibt die Frage, ob denn der Nachrichtendienst mit Achat arbeitet und die anfallenden Daten nachbearbeiten kann. Wir stellten sie dem VBS. «NDB-Mitarbeiter haben keinen Zugriff auf das System Achat und werden es auch in Zukunft nicht haben», so die Antwort von VBS-Sprecherin Suini. Die Arbeit an diesem Auswertungssystem werde «ausschliesslich durch Mitarbeiter des Zentrums elektronische Operationen der Führungsunterstützungsbasis» (in Zimmerwald) wahrgenommen. Suinis Antwort sagt indes lediglich, dass in Zimmerwald keine Schlapphüte vor den Achat-Bildschirmen sitzen. Dass der NDB aber von den Erkenntnissen der Achat-Leute profitiert, gilt als Binsenwahrheit.
In der Diskussion um das NDG, über das wir am Wochenende abstimmen, weisen Gegner immer darauf hin, dass damit Massenüberwachung drohe. Zwar verbiete das Gesetz den Zugriff auf die Kommunikation im Inland. Weil diese aber im Internetzeitalter mehrheitlich über Server im Ausland abgewickelt werde, sei es de facto eben doch Massenüberwachung, die mit dem neuen Gesetz Einzug halte.
Der Bund und NDG-Befürworter entgegnen auf dieses Argument jeweils, dass der Nachrichtendienst gar nicht die nötigen personellen Ressourcen hätte, um eine Massenüberwachung zu bewältigen. Für Glättli – und nicht nur für ihn – zieht dieses Argument jedoch nicht: «Das Scannen des Internets würde – analog zur Satellitenaufklärung – ebenfalls durch das Zentrum elektronische Operationen der Schweizer Armee durchgeführt. Wie viele personelle Ressourcen dort zur Verfügung stehen, bleibt jedoch im dunkeln.»
Die entsprechende Information ist tatsächlich nicht zu bekommen: Sie ist geheim.