Mannomann

Sind die Männer in der Krise? Geschlechterforscherin Christa Binswanger spricht heute abend in St. Gallen auch über den Mann als Suchenden.

Diana Bula
Drucken
Sucht seine Position zwischen Familie und Arbeit: Der moderne Mann. (Bilder: fotolia, Montage, sgt/Marion Oberhänsli)

Sucht seine Position zwischen Familie und Arbeit: Der moderne Mann. (Bilder: fotolia, Montage, sgt/Marion Oberhänsli)

«Wann ist ein Mann ein Mann?», singt Herbert Grönemeyer. Wie beantworten Sie seine Frage?

Christa Binswanger:Jede Zeit hat eine andere Vorstellung von Männlichkeit. Heute gibt es im Vergleich zu früher deutlich mehr Formen, männlich zu sein.

Der Mann als Ernährer, als verständnisvoller Partner, fürsorglicher Vater, der auch putzt und kocht – viele neue Anforderungen. Sind die Männer in der Krise?

Binswanger: Diese Krisen-Diskussion ist in den 1990er-Jahren aufgekommen, als eine Spätfolge des Feminismus der 70er-Jahre. Es ist nicht die erste Krise. Auch Ende des 19. Jahrhunderts war die Misere des Mannes ein Thema. Damals galt die bürgerliche Kleinfamilie als einzig richtiges Lebensmodell. Die Frau päppelte den Mann daheim auf, und er fürchtete sich vor der feindlichen Welt draussen.

Schauspielerin Emma Watson forderte in einer Rede vor der UNO, dass Männer den Frauen bei der Emanzipierung helfen. Wie reagiert die Männerwelt?

Binswanger: Es gab und gibt Männer, die den Feminismus als Feindbild sehen. Die Mythopoeten etwa wollen zurück zu ihren Mythen. Rituale am Lagerfeuer, die männliche Natur ausleben… Andere sehen sich nicht als Opfer. Sie meinen, dass der Feminismus ihnen innerhalb der Familie mehr Gestaltungsraum bietet und dass durch diese Diskussion die Probleme des Mannes verständlicher werden.

Wie das?

Binswanger: In der Arbeitswelt ist viel Flexibilität gefordert. Auch gute Jobs sind nicht mehr sicher. Das belastet Männer psychisch – dabei wollen sie stark sein. «Ich halte durch. Ich bin ein Indianer», reden sie sich dann ein und gehen zu spät zum Arzt. Wandelt sich das Männerbild, zeigen sie sich vielleicht eher mal schwach.

Dürfen Männer ihre sensible Seite nicht mehr denn je zeigen?

Binswanger: Viele Männer gestehen sich das aber nicht zu. Unsere Forschungen zeigen, dass sie Gefühle zeigen wollen, auch ihren Kindern gegenüber. Sie wünschen sich eine aktive Vaterschaft. 89 Prozent der Männer mit Kindern von 0 bis 6 Jahren arbeiten dennoch Vollzeit. Für sie ist die Zeit knapp, ihre fürsorgliche Seite auszuleben.

Ist das die Auswirkung fehlender Teilzeitstellen für Männer?

Binswanger: Ja, die Arbeitskultur muss sich wandeln. Es braucht mehr Respekt vor Männern, die ihre Vaterschaft aktiv leben und nicht mehr nur Geldgeber sein wollen. In einigen Betrieben sind Initiativen zur Väterförderung im Gange. Der Druck auf aktive Väter soll sinken, in dem etwa ein wöchentlicher Home-Office-Tag möglich ist. Oder sie eine begrenzte Zeit reduziert arbeiten, das Pensum dann aber wieder erhöhen können – wenn sie wollen. Es sollte auch üblich werden, dass er mal daheim bleibt, wenn das Kind kränkelt.

Ist ein aktiver Vater ein motivierterer Angestellter?

Binswanger: Ja. Umstritten ist aber, ob er effizienter arbeitet.

Was, wenn sie lieber beim Kind bleibt und er lieber arbeiten geht?

Binswanger: Auch das soll möglich sein. Bleibt aber eine junge, studierte Frau daheim, wird sie finanziell abhängig vom Gatten und büsst Karrierechancen ein – und das bei einer Scheidungsquote von 50 Prozent. Dessen muss sie sich bewusst sein. Auf dieser Basis soll jedes Paar sein eigenes Modell aushandeln.

Ein Mann, der die Haus- und Erziehungsarbeit übernimmt: Empfinden Frauen ihn als sexy?

Binswanger: Die sexualisierte Gesellschaft fordert von uns, stets erotisch zu wirken. Videoclips zeigen fast ausschliesslich kräftige, sexy Machos. Viele Zuschauer erkennen nicht mehr, was Fiktion und was Realität ist. Fürs Bett gilt das Gleiche wie für die Familie: Es muss offen bleiben, wer welche Rolle übernimmt.

Diese Rollensuche muss für ihn nicht zwingend in der Krise enden?

Binswanger: Auf keinen Fall, in der Romandie leben Mann und Frau das Erwerbsleben egalitärer als in der Deutschschweiz. Zürich und Basel sind punkto Gleichberechtigung fortschrittlicher als St. Gallen. Noch immer gibt es innerhalb der Schweiz grosse Unterschiede. Lebt man in einem bildungsnahen oder bildungsfernen Umfeld? Kann die Familie es sich leisten, wenn er sein Arbeitspensum reduziert?

Wird sie ihm in Zukunft die Türe aufhalten?

Binswanger: Ja, wenn ihm das gut tut… Nur sind sich Männer das noch nicht gewohnt. Sie wollen meist auch nach wie vor das Candle-Light-Dinner bezahlen – obwohl viele Frauen das unterdessen anders sehen.

Die öffentliche Vorlesung «Männerbilder heute» von Christa Binswanger findet heute um 18.15 Uhr an der Tellstrasse 2 im Raum 022 der Uni St. Gallen statt.

Christa Binswanger Dozentin für Gender und Diversity an der Universität St. Gallen (Bild: pd)

Christa Binswanger Dozentin für Gender und Diversity an der Universität St. Gallen (Bild: pd)