Wie klingt eine Landschaft? Was nimmt eine Stubenfliege wahr? Vier Kunstschaffende bieten im St. Galler Ausstellungsraum Nextex spannende Gedankenanstösse zu den Grenzen menschlicher Wahrnehmung.
Kinderstimmen, das Quietschen einer Schaukel, und ab und zu ein Töffli, das vorbeiknattert – es muss ein Spielplatz sein, auf welchem Roswitha Gobbo ihre Klangbotschaft vom 13. November aufgenommen hat. Die GPS-Koordinaten, die sie als Hinweis hinterlassen hat, bestätigen die Vermutung. Die Aufnahme ist in Esquel, einem Provinzstädtchen in Patagonien entstanden. Seit September ist die Innerrhoder Künstlerin in Südamerika unterwegs. Sie lässt uns an ihrer Reise in Form eines akustischen Tagebuches teilhaben. Regelmässig postet sie auf der eigens dafür eingerichteten Website ( www.klanglandschaften.com ) Klangbeiträge von zwei Minuten. Sie sind auch zu hören in der Ausstellung «Die Grenzen des Verstandes» im Nextex. Roswitha Gobbo wird heute mit dem Werkbeitrag der Innerrhoder Kunststiftung ausgezeichnet. Die Künstlerin interessiert sich für die Bilder im Kopf. Sie arbeitet deshalb hauptsächlich mit Klang: «Klang fördert Imagination», sagt Gobbo.
Um Vorstellungskraft, Wahrnehmung und deren Grenzen geht es auch in der Ausstellung im Nextex, die sich mit ihrem Titel auf ein gleichnamiges Gemälde von Paul Klee bezieht. Was wir wahrnehmen, formt unsere Wirklichkeit. Dies führt Ryo Ikeshiro mit einer weiteren Soundinstallation vor Augen. Im abgedunkelten Raum erklingt immer dann ein seltsames Gezwitscher, wenn ein roter Punkt die Wand berührt. Es sind die hochfrequenzigen Ultraschallrufe von Fledermäusen, die ihnen zur Orientierung im Dunkeln dienen. Der Künstler hat sie hörbar gemacht, indem er sie in niedrigere Frequenzen umwandelte. Für Menschen ist Ultraschall nur wahrnehmbar, wenn er auf ein Hindernis trifft.
Eine tote Stubenfliege dreht sich unablässig im Kreis. Nur ihre Fluggeschwindigkeit verändert sich, ihr Radius aber bleibt beschränkt. Theres Senn hat mit ihrer Installation eine Metapher gefunden für die vielzitierte Filterblase. Sie hat ausserdem einen Klumpen frischen Lehms, 200 Kilogramm schwer, auf einen Schaukelstuhl platziert. Wird dessen Gewicht den Stuhl zum Krachen bringen? Bricht der Brocken in zwei odere mehrere Teile? Verschiedene Szenarien sind vorstellbar. Eine prekäre Behausung hat Maya Prachoinig aus der Plastikhülle einer Hollywood-Schaukel, Dachlatten und Karton gebaut und nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Sie erinnert an die Hütten von Geflüchteten oder Obdachlosen. Diese führen ein Leben am gesellschaftlichen Rande, für die meisten jenseits von jeder Vorstellungskraft.
Christina Genova
Bis 14.12. Verleihung Werkbeitrag an Roswitha Gobbo heute, 16 Uhr, kleiner Ratssaal, Hauptgasse 6, Appenzell.