Zeitgleich mit dem kürzlich verliehenen Kulturpreis der Stadt St. Gallen ist im Vexer Verlag das Buch «Peter Liechti Lauftext – ab 1985» erschienen. Der Autor und Filmemacher wird heute bei der Verlagsveranstaltung daraus lesen.
Es ist kein Filmbuch, das der Vexer Verlag mit «Lauftext – ab 1985» von Peter Liechti veröffentlicht hat. Geradezu demonstrativ äussert sich das schon im spartanisch geringen Bildanteil dieses Bandes, der sich in gediegener und luftiger Typographie präsentiert – eine schön gestaltete Leseeinladung liegt hier vor einem.
Es ist deshalb kein Filmbuch, weil Liechti darin nicht explizit über seine Filme oder sein Filmschaffen schreibt. Dennoch klopft man als Leser die Texte auf den gut 260 Seiten immer wieder danach ab.
Die 21 Kapitel sind numeriert, aber titellos, lassen sich somit nicht direkt mit Filmen verlinken. Wer sich dennoch auf Spurensuche in den Texten begeben will, Verweise und Echos aus dem Filmwerk aufspüren möchte, bekommt eine Hilfestellung: Im Anhang sind die Kapitel nicht nur mit Jahreszahlen ihres Entstehens versehen, sondern es wird konkret auf einige Filme verwiesen.
Neben den ungekürzten Sprechtexten zu den filmischen Essays «Ausflug ins Gebirg» und «Hans im Glück» (ein Leservergnügen für sich) werden so auch die jeweiligen «Arbeitstexte und Recherchen» zu den Filmen «Namibia Crossings» und «Marthas Garten» ersichtlich. Wenn sich Peter Liechti also im entsprechenden Kapitel während der Schneeschmelze notiert «Alles schmilzt ein wenig, doch nichts taut wirklich auf», dann erinnert man sich natürlich an die schwarzweissen Winterbilder aus seinem Spielfilm.
Bilder und Texte gehören im Filmschaffen von Liechti seit jeher eng zusammen. Und obwohl die Filme und die nun erstmals in Buchform veröffentlichten Texte unterschiedliche Genres sind, stehen sie miteinander in Beziehung. Denn Peter Liechti schreibt, wie er filmt: Mit dem Blick des genauen Beobachters rückt er nicht nur Dinge ins Bild, sondern fasst er auch Gedanken in Worte – klar, präzis und mit Witz.
Und wie er in Filmen die Bilder hinterfragt, stellt er seine Texte zur Disposition: Er wendet beispielsweise ein, dass es doch eigentlich fragwürdig sei, die Flüchtigkeit der Gedankengänge schriftlich festzuhalten. Und er wähnt im Schreiben, das er einmal als «scheissanstrengend» bezeichnet, gar etwas «unangenehm Bedeutungsvolles». Dahinter steckt weder Anbiederung noch falsche Bescheidenheit, sondern jener (selbst)kritische, zweifelnde, fragende Geist, als den man den St.
Galler Filmkünstler kennt. Seine Motivation für das Schreiben formuliert er einmal so: «Ich habe ja keine Geschichten zu erzählen, es geht um das Schreiben an sich, um das Hineinkommen in etwas, in eine gewisse Denk-Elastizität zum Beispiel…»
Befeuert wird dieses Denken, worin galliger Spott neben funkelnder Ironie steht, wie in den Filmen durch Bewegung (was im Titel «Lauftext» mitschwingt): Wanderungen, Spaziergänge, Erkundungen und Begegnungen.
Sie stehen, neben Landschafts-, Orts- und Wetterbeschreibungen oft am Anfang der mal kürzeren, mal längeren Texte. Diese atmosphärischen, klimatischen Beschreibungen öffnen das Feld für kritische, kluge und amüsante Ausflüge in die Höhen und Tiefen des Daseins. Eine Begegnung mit einer Russin auf der Zugfahrt von München nach St.
Gallen führt zu berührend persönlichen Gedanken über flüchtige Begegnungen, über Fremdheit, Freundschaft, Partnerschaft und die Einsamkeit.
Als «eine Fuge gelebter und zugleich gedanklich gefasster Zeitausschnitte» beschreibt Peter Liechti an anderer Stelle seine Texte. Er lässt uns in seinen Notizen und Aufzeichnungen aus den letzten 25 Jahren teilhaben an seiner «Gedankenschürferei», seinem Blick auf die Welt – in St. Gallen, den Bergen, in Amerika oder in Afrika, in einem Bahnhofbuffet oder auch im Zoo.
Und er teilt mit dem Leser eine Erfahrung: sein «Grundgefühl auf diesem Planeten: Ich wundere mich.»
Peter Liechti: Lauftext – ab 1985, Vexer Verlag St. Gallen, 2010, 268 Seiten, 38 Franken