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Nicht zuletzt dank dem Internet gewinnen Verschwörungstheorien immer mehr Verbreitung und Anhänger. Roger Schawinski wollte wissen, wie sie funktionieren. Und welche Strippenzieher dahinterstecken.
Interview: Arno Renggli
Dies ist ein Artikel der "Ostschweiz am Sonntag". Die ganze Ausgabe lesen Sie hier: www.tagblatt.ch/epaper
Roger Schawinski, echte und angebliche Verschwörungen gab es ja schon immer. Weshalb haben Sie gerade jetzt ein Buch darüber geschrieben?
Ich bin zufällig auf das Thema gestossen – durch die «Arena» vom 24. Februar 2017 zum Thema Medien und Wahrheit, in welcher der Historiker Daniele Ganser aufgetreten ist. Ich war als Gast in der Sendung, als Ganser und Moderator Jonas Projer heftig aneinandergerieten. Im Nachgang war ich schockiert, wie aggressiv die Community um Ganser reagierte. Auch gegen mich persönlich. Hier ist mir klar geworden, wie viele Menschen auch im deutschsprachigen Raum sich von Verschwörungstheorien blenden und fanatisieren lassen.
Daniele Ganser thematisieren Sie in Ihrem Buch prominent. Indes äussert er sich im Gegensatz zu anderen Verschwörungstheoretikern eher zurückhaltend, stellt offizielle Verlautbarungen, etwa zu 9/11, lediglich in Frage.
Das macht ja seine überdurchschnittliche Raffinesse aus. Er gibt vor, nur kritische Fragen zu stellen, suggeriert aber ganz klar, dass offizielle Erklärungen von Ereignissen falsch sind, und zwar systematisch. Und dass zudem die Medien bewusst irreführend darüber berichten. Das ist die klassische Grundhaltung eines Verschwörungstheoretikers.
9/11 ist der bekannteste Nährboden für Verschwörungstheorien der neueren Zeit. Hat sich hier das Phänomen zugespitzt?
Tatsächlich ist 9/11, zusammen mit dem Internet, einer der wichtigsten Faktoren, dass Verschwörungstheorien eine solche Popularität erlangt haben. Allerdings zeigt gerade 9/11 die grundlegende Schwäche von Verschwörungstheorien auf: Wenn tatsächlich die US-Regierung hinter den Anschlägen gestreckt hätte, müssten Tausende von Leuten involviert gewesen sein. Und seither hat niemand etwas ausgeplaudert? Und in der heutigen Zeit von Wikileaks ist nichts dazu ans Tageslicht gekommen? Das ist überhaupt nicht plausibel.
Also ist gerade das Internet nicht nur ein Instrument für die Verbreitung von Verschwörungstheorien? Sondern auch eine Art Garant, dass die echten Verschwörungen aufgedeckt werden?
In der heutigen Zeit wird praktisch alles aufgedeckt, was es aufzudecken gibt. Gerade in den USA gab es ja auch reale Verschwörungen. Doch Verschwörungstheoretiker arbeiten mit Analogieschlüssen: Wo es einmal eine Verschwörung gab, muss es immer wieder welche geben.
In Ihrem Buch zeigen Sie auf, was für Charaktereigenschaften hinter den erfolgreichsten Verschwörungstheoretikern stecken. Einer von ihnen ist sogar der mächtigste Mann der Welt geworden.
Donald Trump ist der Verschwörungstheoretiker schlechthin: Eines seiner Lieblingsthemen ist die vermeintlich grundsätzliche Falschheit der Medien. Und typischerweise arbeitet er mit offensichtlichen Lügen und Simplifizierungen. Auch das Psychogramm passt, zu dem etwa ein extremer Narzissmus gehört.
Was ist die Motivation von Verschwörungstheoretikern?
Öffentliche Beachtung und Macht gehören sicher dazu. Bei Daniele Ganser etwa bin ich fast sicher, dass er tatsächlich glaubt, was er sagt, und gar von seiner Märtyrerrolle überzeugt ist. Aber irgendwann hat er – wie andere Protagonisten dieser Szene – wohl entdeckt, dass das auch ein sehr lukratives Business ist.
In Ihrem Buch zeigen Sie, wie etwa die USA, die Nato oder Israel von Verschwörungstheorien zu Unrecht kritisiert werden. Verschweigen Sie dabei nicht, dass gewisse Kritikpunkte dennoch ihre Berechtigung haben? Und dass krude Verschwörungstheorien in ihrer Unglaubwürdigkeit die wahren Skandale vielleicht sogar übertünchen?
Es geht mir nicht darum, etwas zu verschweigen. Dass es auch in der Politik der USA, der Nato oder Israels Fragwürdiges gibt, bestreitet ja wohl kaum jemand. Aber das ist nicht das Thema meines Buches. Mir geht es darum zu zeigen, welche Auswirkungen eine Kritik hat, die mit falschen Informationen, Vereinfachungen und Feindbildern arbeitet. Letzteres etwa führt zum Beispiel dazu, dass man alles, was die USA tun, für böse erklärt. Und damit im Umkehrschluss alles, was etwa die Russen tun, für gut oder zumindest entschuldbar.
Die traditionellen Medien gehören oft zu den Feindbildern von Verschwörungstheoretikern. Sie haben das Beispiel Trump erwähnt.
Verschwörungstheoretiker mögen keinen kritischen Journalismus, schotten sich lieber in ihrem Weltbild und ihrer Gefolgschaft ab. So geben sie zum Beispiel nur selten Interviews. Vielmehr versuchen sie, die Medien generell unglaubwürdig zu machen, Stichwort «Lügenpresse». Und sie als Teil der Verschwörung darzustellen. So schliesst sich ihr argumentativer Kreis: Jeder, der sich gegen die Verschwörungstheorien äussert, gehört aus dieser Sicht einfach selber zur Verschwörung.
Was sind die Anhänger von Verschwörungstheoretikern für Leute? Sie nennen in Ihrem Buch das Stichwort «Weltflucht» und stellen Vergleiche zu Sekten an.
Tatsächlich gibt es diese Ähnlichkeiten zwischen Anhängern von Verschwörungstheorien und solchen von Sekten. Wobei Sekten straffer organisiert sind, während die Anhänger von Verschwörungstheorien zumeist eine schwer fassbare Masse im Netz sind. Empfänglich sind oft Leute mit einem geringen Selbstwertgefühl, die im Leben wenig Erfolg haben oder von dessen Komplexität überfordert sind. Sie misstrauen den Behörden und den Medien, haben den Wunsch, zu einer Elite zu gehören, welche die vermeintlich wahren Fakten unter der Oberfläche erkennt.
Ist es nicht auch einfach die Faszination für Fiktion, das Eintauchen in eine andere, kontrollierbare Welt, wie in einem Computerspiel?
Dieses Eintauchen in eine alternative Realität mag eine Rolle spielen, aber ich glaube nicht, dass diese Leute sie für Fiktion halten. Darum sind diese Verschwörungstheorien eine Gefahr, zumal sie immer mehr die Gesellschaft und die Politik beeinflussen und Menschen verunsichern, wie das Beispiel Trump am schlagendsten zeigt. Verbieten kann man sie natürlich nicht, es gilt die Meinungsfreiheit. Aber man muss ihnen mit Aufklärung und Fakten entgegentreten.