Naturgewalt aus Menschenhand

Wohin geht es mit der Menschheit? Diese drängende Frage umkreist die Ausstellung «Stand der Hoffnung» von Christina Hemauer und Roman Keller. Die Kunsthalle Arbon zeigt bis 25. September die nachdenklich stimmenden Installationen des Künstlerduos.

Dorothee Haarer
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Das Künstlerduo Christina Hemauer und Roman Keller mit zum Bersten gebrachtem Betonträger.

Das Künstlerduo Christina Hemauer und Roman Keller mit zum Bersten gebrachtem Betonträger.

ARBON. «Nochmal alle dagegen stemmen!», ruft Roman Keller den Gästen in der Kunsthalle Arbon zu. Und Christina Hemauer wirbelt an den Anwesenden vorbei und meint optimistisch: «Wir zerbrechen den schon noch.» Dann legt sie ihre Hände auf den Stahlbeton und drückt, wie alle anderen auch, aus Leibeskräften. Etwas Stabiles soll nämlich zu Bruche gehen. Und zwar das Herzstück der Ausstellung, das zugleich ihr Namensgeber ist: die Installation «Stand der Hoffnung».

Konkret handelt es sich um einen Stahlbetonträger von 25 Metern Länge, gelagert auf rollbaren Stützböcken. Hemauer und Keller haben sich zum Ziel gesetzt, diesen massiven Koloss mit Körpereinsatz des Vernissage-Publikums zum Bersten zu bringen. Sie wollen aufzeigen, wozu der Mensch in der Lage ist. Da knackt es. Der Beton bricht.

Naturgewalt aus Menschenhand

«Tatsächlich steht die Macht des Menschen über die Natur im Fokus der Ausstellung», erklärt Kuratorin Deborah Keller, die das Künstlerduo nach Arbon geholt hat. «Heute ist klar, dass menschliches Tun auf unseren Planeten einwirkt und etwa Wetterphänomene beeinflusst. Vielleicht wäre es ja an der Zeit, für das Wort <Naturgewalt> einen Ersatz zu finden?»

Die Idee, der Mensch nehme Einfluss auf seine Umwelt, geistert schon länger kollektiv durch die Köpfe. Vor bald 20 Jahren kam eine kleine, nicht unumstrittene Gruppe gar zu der Ansicht, man könne den Anbruch einer neuen, geochronologischen Epoche fixieren. Man gab dieser den Namen «Anthropozän» und meinte damit ein Zeitalter, in dem der Mensch unmittelbar auf die Geschicke seines Planeten einwirkt – biologisch, geologisch und atmosphärisch.

Die Farbe des Himmels ändern

Ob die Künstler sich tatsächlich mit dem Begriff des «Anthropozän» belasten wollen, sei dahingestellt. Den Gedanken, der Mensch greife massiv in die Welt ein, verfolgen sie jedoch klar. «Man weiss, dass der Mensch bereits das Blau des Himmels verändert. Irrsinn!», sagt Christina Hemauer. Und Roman Keller ergänzt doppelsinnig: «Wir haben eindeutig die Kraft für Veränderungen.»

Aufmarsch des Aufbegehrens

Welche Veränderungen gemeint sind, zeigen die beiden mit ihren Installationen. Auf den ersten Blick passen diese kaum zusammen. Hier Ei, dort Zaun, da Beton? Beim zweiten Hinschauen wird jedoch klar, dass man so etwas wie eine Sammlung vor sich hat, die einen pointierten Aufmarsch des Aufbegehrens zeigt. Da wäre diese Ei-Nachbildung: Den Vogel gäbe es vielleicht heute noch, wäre er nicht Mitte des 19. Jahrhunderts dank zügelloser Ornithologen-Leidenschaft ausgerottet worden. Ebenfalls schlecht erging es der Hecke, deren Reste noch im Drahtzaun vor der Wand klemmen. Lange wuchs sie gegen die Gärtnerschere an. Durchrankte den Zaun. Am Ende hat sie verloren. Und auch die Sänger des Genueser Männerchors auf der Leinwand im Untergeschoss kämpfen gegen das Verlieren. Sie singen ihre typischen Hafen-Lieder – «Trallalero» heissen die – und halten an einer Tradition fest, die rasch bröcklig wird und schwindet.

Wenn also schliesslich der Stahlbetonträger unter den Händen des Vernissage-Kollektivs in der Kunsthalle birst, ist dies nur logischer Höhepunkt des die Ausstellung durchziehenden Widersetzens und Scheiterns: Natur gegen Mensch. Aber auch, irgendwie, des Menschen gegen sich selbst.

Epochenwechsel

«Stand der Hoffnung» schildert nicht nur Scheitern. Es geht auch ums Weitermachen danach. Vielleicht geht es sogar darum, ob doch eine Epoche kommen kann, die besser ist als das «Anthropozän». Eine Epoche, in der alte Lieder am Leben bleiben und in der Mensch und Natur gemeinsam eine Chance haben. Christina Hemauer und Roman Keller regen intelligent und schelmisch an, diesen Weg zu versuchen. Immerhin, zeigen sie, ist mit menschlichen Kräften selbst Beton zu brechen. Träumen wir davon, dass die gleichen Kräfte für Gutes zu gebrauchen sind. Soweit der «Stand der Hoffnung». Für heute.

Bis 25. September, Fr 17–19 Uhr und Sa/So 13–17 Uhr; Begleitveranstaltungen: Sa, 3.9., sowie Sa, 24.9., je 16 Uhr, öffentliche Führung durch die Ausstellung; Sa, 17.9., 17 Uhr: die Künstler im Gespräch mit David Bresch, Professor für Wetter- und Klimarisiken, ETH/Meteo-Swiss

Das Vernissage-Publikum schafft es mit gemeinsamer Kraft, einen Betonträger zum Bersten zu bringen. (Bilder: pd/Jason Klimatsas, Zürich)

Das Vernissage-Publikum schafft es mit gemeinsamer Kraft, einen Betonträger zum Bersten zu bringen. (Bilder: pd/Jason Klimatsas, Zürich)