BRAUCHTUM: In Afrika packte ihn das Heimweh

Martin Sebastian förderte Melanie Oesch und Nicolas Senn als Jungtalente. Der begeisterte Neo-Appenzeller hat ein Buch über das Unspunnenfest geschrieben, organisiert Bauernmusik- und Alphorntreffen. Dabei wollte er mal auswandern.

Hansruedi Kugler
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Seit fünf Jahren lebt Martin Sebastian im Dorfkern von Schwellbrunn. Hier organisiert er auch ein Bauernmusiktreffen. (Bild: Michel Canonica)

Seit fünf Jahren lebt Martin Sebastian im Dorfkern von Schwellbrunn. Hier organisiert er auch ein Bauernmusiktreffen. (Bild: Michel Canonica)

Hansruedi Kugler

hansruedi.kugler@tagblatt.ch

In Schwellbrunn habe er seine Heimat gefunden, sagt Martin Sebastian. Das war vor fünf Jahren. Weit gereist ist der Zürcher, Afrika hat er zweimal durchquert. Den Weltreisenden nimmt man ihm auch äusserlich sofort ab. Mit offenem Hemd und Lederjacke sieht er nicht gerade wie ein typischer Jodler oder Ländlermusiker aus. Das Heimweh aber kam mit der Volksmusik. Er war in den 1980er-Jahren mit dem VW-Bus von Ägypten unterwegs nach Südafrika: «Mir kamen die Tränen, als ich im damaligen kriegsgeplagten Rhodesien plötzlich Schweizer Volksmusik hörte», erzählt er in seinem Haus an der Hauptstrasse, mitten im Dorfzentrum von Schwellbrunn. Hier führt er mit seiner Partnerin ein Bed and Breakfast, von hier aus leitet er die Folklore-Illustrierte «Alpenrosen» und organisiert in Schwellbrunn Bauernmusik- und Alphorntreffen. Und hier hat er das offizielle Buch zum Unspunnenfest geschrieben, das Ende August in Interlaken stattfindet. Dass ein Nicht-Berner dieses Buch über die nur alle 12 Jahre durchgeführte «Olympiade der Folklore» schreiben durfte, hat für Aufsehen gesorgt. Und unterstreicht, dass Martin Sebastian als einer der kompetentesten Folk­lorekenner der Schweiz gilt.

Das Musikstudium bricht er ab und reist durch Afrika

Aufgewachsen ist Martin Sebastian in Dübendorf und fing früh mit Blasmusik an: «Mein Grossvater hatte mich ermuntert.» Seine musikalische Vorliebe hat ihn allerdings in seiner Jugend im städtischen Umfeld zum Exoten gemacht. «In den 1970er-Jahren hat man sich in Dübendorf wegen der Liebe zur Volksmusik fast schämen müssen», erzählt er. Mainstream waren Pop und Rock. «Hudigäggäler» war hingegen die abschätzige Bezeichnung für jene Ländlermusik, die im Fernsehen vom konservativen Wysel Gyr verkörpert wurde, den Sebastian sehr gut kannte und schätzte. Früh zog es ihn auch beruflich zur Musik, Sebastian hatte bald eigene Formationen. Aber das Konservatorium, wo er Klassik und Jazz studierte hatte, brach er ab, um auf Weltreise zu gehen. Und dann meldete sich das Heimweh, und fortan widmete sich der junge Zürcher der Schweizer Volkskultur.

Ein Kämpfer und Abenteurer ist er im Herzen geblieben – immer wieder initiiert er Neues: Als Quereinsteiger fing er 1992 als Journalist bei Radio Eviva an und war nach kurzer Zeit Programmleiter und Geschäftsführer. 2002 wurde das Radio verkauft und er stand auf der Strasse, und seine Ehe ging in die Brüche. Nebenher hatte Sebastian schon einen Nachwuchswettbewerb für junge Volksmusiker lanciert – ein Novum und eine heute nicht mehr wegzudenkende Aufbauarbeit. Die aber einige Überzeugungsarbeit nötig machte. Beim Nachwuchs kamen die Wettbewerbe sehr gut an. Heutige Stars wie Melanie Oesch, die Geschwister Küng oder Nicolas Senn hatten bei Martin Sebastian erste Auftritte. Die Verbände hingegen wehrten sich. Vor dreissig Jahren durften Jungjodler am Eidgenössischen Jodlerfest noch nicht auftreten. Und an Wettbewerben teilzunehmen, verbot der Eidgenössische Jodlerverband allen Mitgliedern. Man einigte sich gütlich, und nach dreissig Jahren gab Sebastian vor drei Jahren die Nachwuchswettbewerbe an die Verbände.

In Schwellbrunn sei Volkskultur authentisch

2002 flog Martin Sebastian mit einem One-Way-Ticket zum Auswandern nach Südafrika. Nach ein paar Monaten aber packte ihn die alte Sehnsucht nach der Volksmusik. Er kehrte in die Schweiz zurück und fing als freier Journalist von vorne an. Der Kämpfer hatte wieder Glück: Die «Schweizer Musik Revue» suchte ein neues Konzept, Sebastian stieg ein und gab bald darauf das Heft unter dem neuen Namen «Alpenrosen» heraus. Und tut dies als Chefredaktor bis heute. Da finden sich Porträts und Veranstaltungsberichte, allgemeine Folklorethemen, Verbandsmeldungen und ein ausführlicher Veranstaltungskalender recht gedrängt und natürlich mit vielen Fotos von Trachten und fröhlichen Musikern.

Noch ein Abenteuer hat Sebastian hinter sich: Von 2007 bis 2011 war er auch Geschäftsführer der urchigen Aelplibar in der Zürcher Altstadt, die er zum Treffpunkt der Folkloreszene machte. Auf der Suche nach einem neuen Domizil hat er nun seine «Heimat» gefunden. In Schwellbrunn werde die Volkskultur, für die sein Herz schlage, noch authentisch gelebt, sagt er. Und seit die Silvesterchläuse auch bei ihm vor dem Haus singen, fühle er sich endgültig angekommen.