FIGURENTHEATER: Nichts ist für die Ewigkeit

Von Frühling bis Winter knetet sich «Eins Zwei Drei Vorbei» durch ein ganzes Leben: Spielerisch und tiefsinnig finden da Formbarkeit und Naturgesetz zusammen. Vorpremiere war am Festival Jungspund.

Bettina Kugler
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Sie oder er? Sven Mathiasen und Frauke Jacobi sind sich nicht einig – und kneten weiter. (Bild: Tanja Dorendorf)

Sie oder er? Sven Mathiasen und Frauke Jacobi sind sich nicht einig – und kneten weiter. (Bild: Tanja Dorendorf)

Bettina Kugler

bettina.kugler

@tagblatt.ch

Frischgebackene Eltern kennen den Satz zu Genüge und werden, gähnend und mit dunklen Augenringen, ihre Zweifel daran haben, sofern sie dafür nicht zu müde sind. «Geniesst es, die Kinder werden so schnell gross!» Dabei hat das echte Leben durchaus einen langen Atem, gemessen am Zeitraffer, den Frauke Jacobi und Sven Mathiasen in ihrem knapp einstündigen Stück «Eins Zwei Drei Vorbei» (Regie: Sarah Fuhrmann) in Gang setzen. Was nicht bedeutet, dass uns schwindlig würde beim Zuschauen.

Ein leerer Platz aus Knete wird bunt und belebt

Der Altersempfehlung ab vier Jahren angemessen, nehmen die beiden Spieler sich Zeit mit ihrer Bühnenschöpfung, so wie ein Kind, das eine Schnecke im Gras beobachtet. Gut Ding will Weile haben! Also kneten und zupfen sie, göttlich ambitionierte Handwerker in Schafferklamotten, bedächtig und mit kritischem Blick am braunen Erdenklotz, lange bevor es richtig losgeht mit der Weltgeschichte. Auch auf den Frühling mit Blüten, Bienengesumm, Gezwitscher und anderen Emsigkeiten der erwachenden Natur müssen wir geduldig warten, ganz wie im richtigen Leben.

Erst ist da nichts als ein Platz, gross und leer. Immerhin ein Baum steht drauf. Und weil sich damit noch keine Geschichte aufdrängt (sie bräuchte wohl mindestens eine Figur), gibt es zunächst auch nur Text aus dem Labor von Dadaisten. Den Kindern im Publikum macht das Spass, sie selbst sind ja Weltmeister im Wörterkneten, im Silben- und Lautvertauschen. Es passt zudem vortrefflich zum Gestaltungsprinzip des Stücks, dessen Bühnenbild und dessen Figuren im Moment entstehen, Form annehmen und die Form verändern. Schnell wird da aus der summenden Biene eine Ente, aus Äpfeln ein Ball.Oder, bald schon enorm wichtig zum Überleben im jugendlichen Freundeskreis, ein Handy.

«Eins Zwei Drei Vorbei» ist kein Kindergärtlerstück von gestern, sondern voller kreativer Ideen und Impulse – dabei von elementarer Einfachheit: buchstäblich Handarbeit mit viel Fingerspitzengeschick. Doch auch über das Kneten hinaus wohltuend handgemacht, mit unbegleitetem Gesang, Instrumenten wie Glockenspiel, Handorgel, Melodica (Musik: Stefan Suntinger), ohne grossen Technikaufwand.

Nichts hat hier lange Bestand; umso mehr bannt es die Aufmerksamkeit im Augenblick. Frauke Jacobi und Sven Mathiasen haben das Material dazu in der Jacken- oder Hosentasche oder holen es, grob vorgeformt, hinter der Bühnenskulptur aus Knetmasse hervor. So wird der Platz begrünt und mit Getier versehen; ein Ententeich entsteht unter Gequake vor unseren Augen – und alles wäre nur halb so schön ohne Mann, Frau und dann auch Kind. Die Figuren dazu hat Johannes Eisele entworfen und gebaut; zum vollen Bühnenleben erwachen sie aber erst im Spiel.

Mann, Frau, Kind – alles nur für kurze Zeit

Eine Botschaft drängt sich in «Eins Zwei Drei Vorbei» nicht in pädagogischer Betulichkeit auf. Stattdessen wird sie im Tun und Spielen sichtbar. Das Leben, so führt das Stück plastisch vor Augen, blüht mit jedem Menschen neu auf, und man kann es gestalten. Wo zwei sich finden, ein Paar werden, da trägt es Früchte. Man hofft, der Apfel falle nicht weit vom Stamm – um im Bühnenbild von Karin Bucher zu bleiben. Die Spieler und Schöpfer sind sich jedoch erfreulich uneins über Wesen und Geschick der Figuren. Das macht die Geschichte, so simpel sie im Kern ist, spannend und witzig, bei gründlicherem Nachdenken sogar sehr tiefsinnig. Was die Kleinen, bald schon gross, zum Glück noch nicht bekümmern muss.

Nächste Vorstellung: Heute Sa, 15 Uhr, Figurentheater St. Gallen