Updates der Bibel

Stephan Sigg engagiert sich für eine Kirche, die Menschen auf Augenhöhe anspricht – in seinen Jugendbüchern erzählt er Gleichnisse und Gebote aktuell.

Bettina Kugler
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Ohne wolkige Botschaften kommen Stephan Siggs Geschichten aus – aber nicht ohne Laptop. (Bild: Ralph Ribi)

Ohne wolkige Botschaften kommen Stephan Siggs Geschichten aus – aber nicht ohne Laptop. (Bild: Ralph Ribi)

Ungläubige Blicke ist Stephan Sigg gewohnt, wenn er erzählt, dass er ein Studium in katholischer Theologie absolviert hat. Dass er im kirchlichen Medienbereich arbeitet und religiöse Bücher für Kinder und Jugendliche schreibt, die sich bestens verkaufen und von der Zielgruppe gern gelesen werden. «Man macht sich damit bei manchen Menschen geradezu verdächtig», sagt er lächelnd; «viele reagieren zurückhaltend; sie befürchten, ich wolle sie bekehren.»

Wer sich wie er beruflich mit der Bibel und mit Glaubensdingen beschäftigt, ist, so das gängige Vorurteil, in der Regel graumeliert, mit hoher Denkerstirn, trägt schwarze Bequemschuhe oder Jesuslatschen und kennt vor allem Dogmen und Gewissheiten. Er mag Respekt einflössen, scheint aber mit der Lebenswirklichkeit in einer säkularisierten Wissens- und Konsumgesellschaft nicht ganz auf Augenhöhe zu leben. Kommt hinzu, dass die Institution Kirche in den Medien kein gutes Image hat: Beharrlich festhaltend am Hergebrachten, an Formen und Riten, die vielen unverständlich und leer erscheinen. Die nicht mehr unmittelbar ins Herz treffen oder noch nie dazu geeignet waren.

Mut zu Veränderungen

Genau dagegen schreibt der 27jährige Ostschweizer seit vielen Jahren an – ein urchristlicher Impuls, wie er findet. «Jesus war kein Konservativer, sondern ein Veränderer; er wandte sich gegen starre Gesetze und dogmatische Haltungen und hatte keinerlei Berührungsängste», sagt er. Sigg tritt nicht missionarisch auf; Dozieren liegt ihm ebenso wenig wie Predigen. Vielleicht auch deshalb hat er sich nie ernstlich für den Priesterberuf interessiert. Von Zwang hält Sigg nicht viel; er selbst hat ihn nie erlebt. «Meine Eltern haben mich nicht sonntags in die Kirche geschickt; ich bin aus freien Stücken gegangen», erzählt er.

Denkanstösse geben

Was ihn ansprach, besonders in der kirchlichen Jugendgruppe seiner Heimatgemeinde in Rheineck: Dass es einen Raum gab für Diskussionen, für Fragen, die Heranwachsende beschäftigen. «Da ging es nicht um klare Antworten. Aber man hörte sich gegenseitig zu, machte sich gemeinsam Gedanken.» Fasziniert von der Vielfalt an Betätigungsfeldern im Rahmen der Kirche, wurde er Ministrant, Oberministrant, Theologiestudent. Zu schreiben begann er schon als Schüler; nicht mit hochfliegenden literarischen Ambitionen, sondern, weil er Spass am Denken und am Erzählen hatte.

Impulse will Sigg mit seinen Büchern geben, alte Geschichten aus ihrem oft fremd gewordenen Kontext in die Gegenwart, den Alltag und die Sprache von Jugendlichen versetzen und damit vor allem zum Nachdenken anregen. Zum Beispiel mit der Neuerzählung bekannter biblischer Gleichnisse wie jenem vom verlorenen Sohn oder vom barmherzigen Samariter. «Barmherzigkeit», sagt er, «das tönt gerade für junge Leser nach einer Hohlformel, wie sie in der Kirche selbstverständlich gebraucht werden.» Sie mit Sinn zu füllen, in Situationen zu betten, die Jugendlichen bekannt vorkommen, darin hat er so etwas wie eine Berufung gefunden. Wie einst der deutsche Reformator Martin Luther schaut er «dem Volk aufs Maul», will heissen: Er passt den Tonfall seiner Klientel an. Und er bewegt sich ganz in der Gegenwart, mit Facebook, Twitter und Smartphones.

In einem Alter, da andere noch voller Selbstzweifel an ihrem Erstling sitzen und sich Illusionen über eine Schriftstellerkarriere machen, ist sein Werkverzeichnis bereits auf knapp dreissig Titel angewachsen; darunter mehrere Erzählbände und ein Bestseller: «Treibstoff», Siggs «zündende Gebete für brennende Fragen».

Die Sinnsuche bricht nicht ab

Von «Treibstoff» gingen mehr als 20 000 Exemplare über den Ladentisch; dabei scheint die Zeit der angestaubten Schriftenauslagen im Eingangsbereich von Kirchen mit ihrem Angebot an Pfarrblättern, Erbauungsschriften, Heiligenbüchlein und Prospekten mit Anmeldetalon zur Lourdes-Wallfahrt auszulaufen. Junge Leute jedenfalls gehen in der Regel achtlos daran vorbei – wenn sie denn überhaupt noch einen Fuss in die Kirche setzen.

Was nicht bedeutet, dass ihnen die Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Richtung und Bedeutung ihres Daseins gleichgültig wären. «Jugendliche von heute suchen wie frühere Generationen nach verlässlichen Grundwerten, nach klaren Leitplanken», weiss Stephan Sigg aus Gesprächen im Religionsunterricht; «umso mehr, als es in der extremen Dynamik unserer Gegenwart immer schwieriger erscheint, einen Platz zu finden und nicht im Strudel der Reize und ständigen Veränderungen unterzugehen.»

«Gute Gründe für Gott»

Hier setzt auch sein eben erschienenes Buch an. «10 gute Gründe für Gott» nimmt Alltagssituationen unter die Lupe, in denen Jugendliche moralisch ins Dilemma geraten. Mit etwas detektivischem Spürsinn führen die Geschichten zu einem Urtext der Religionsgeschichte: den zehn Geboten. Es ist kein einfach gestricktes Bekehrungsbuch, kein Wegweiser zum Glück mit eindeutiger Route. Aber wiederum das «Update» von Fragen, die Menschen seit jeher bewegen.

Auf zwei Lektionen in Widnau hat Sigg sein Pensum inzwischen reduziert; daneben arbeitet er für das kirchliche Medienportal «kath.ch», entwickelt Unterrichtsmaterial, hält Vorträge über zeitgemässe Jugendgottesdienste, gibt Radio-Interviews und reist zu Lesungen aus seinen Büchern. Auch in Deutschland und Österreich.

Dass ein «Update», wie er es an Texten der Bibel unternommen hat, auch das alte Schiff Kirche wieder flottmachen könnte, davon ist Stephan Sigg überzeugt. Angefangen mit den Kommunikationsmedien über die Art, Menschen anzusprechen bis hin zur Feierkultur gebe es enormen Spielraum.

Manche Freikirchen zeigen, was möglich ist; allerdings frei vom Weggepäck jahrhundertealter Traditionen und oft massgeschneidert für eine recht überschaubare Zielgruppe. Ob nun ein Gottesdienst im Schwimmbad, Gebetsforen im Internet, spirituelle Impulse über soziale Netzwerke: An Ideen mangelt es gegenwärtig nicht. An zähen Vorurteilen allerdings ebenso wenig.