Sternstunde Kunst im Thurgau

Am Samstag wurde die erste jurierte Thurgauer Werkschau erfolgreich eröffnet. In Frauenfeld, Warth, Kreuzlingen und Arbon zeigt sich, dass der Thurgau begabte Kunstschaffende und tolle Ausstellungsorte vorzuweisen hat.

Christina Genova
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Ein Blick ins Weltall im Bauch des Thurgauer Kunstmuseums: Staunende Besucher vor den Aquarellen Helmut Wenczels. (Bild: Donato Caspari)

Ein Blick ins Weltall im Bauch des Thurgauer Kunstmuseums: Staunende Besucher vor den Aquarellen Helmut Wenczels. (Bild: Donato Caspari)

Es war eine wunderbar heitere Kaffeefahrt mit einer Stimmung wie auf einer Schulreise. 130 Personen liessen sich am Samstag bei prächtigem Spätherbstwetter mit zwei Reisecars kreuz und quer durch den Kanton Thurgau chauffieren. Ziel der Fahrt war kein Heizdeckenverkauf, sondern die Auseinandersetzung mit Kunst; warm ums Herz wurde einem trotzdem.

Wo Kunst kristallisiert

Der Anlass für die Reise war die erste jurierte Thurgauer Werkschau. Daran beteiligen konnte sich, wer einen Bezug zum Kanton vorzuweisen hatte. Das Interesse war riesig und zu den Carreisenden gesellten sich an den fünf Ausstellungsorten zahlreiche weitere Besucher, um insgesamt 54 künstlerische Positionen zu sehen. Es schien, als hätten alle – Kunstinteressierte, Kunstschaffende und Kuratoren – auf diese Möglichkeit gewartet, sich zu begegnen, sich zu vernetzen und Kunst zu erleben in diesem Kanton, der kein künstlerisches Epizentrum kennt. Die Entscheidung, deshalb die Ausstellung an den fünf wichtigsten Kristallisationspunkten zeitgenössischer Kunst zu präsentieren – dem neuen Shed in Frauenfeld, dem Kunstmuseum Thurgau, dem Kunstraum Kreuzlingen, der Kunsthalle Arbon und der Galerie Adrian Bleisch –, erscheint deshalb folgerichtig und konsequent.

Solides neben Newcomern

Doch was gibt es zu entdecken? Was fällt auf? Nebst soliden alten Bekannten wie Simone Kappeler, Elisabeth Nembrini, Ute Klein, Meinrad Schade oder Peter Kamm findet man aufstrebende Künstler wie den 25jährigen Sebastian Stadler. Nachdem er dieses Jahr mit dem Swiss Art Award ausgezeichnet worden ist, kann er kaum mehr als Geheimtip bezeichnet werden. Trotzdem ist er der jüngste Teilnehmer der Werkschau, Max Ammann mit seinen achtzig Jahren der älteste. Sebastian Stadlers Auftritt im Tiefparterre des Kunstraums Kreuzlingen gehört zu den stärksten der Schau. Er, der bisher ausschliesslich Fotoarbeiten gezeigt hat, präsentiert sich dort neu als Videokünstler mit vier kurzen Filmen, bei denen es um Wahrnehmung und die Beziehung zwischen Natur und Kultur geht. Grossartig ist eine Arbeit, die mehrere Kreisel bei Nacht zeigt. Dadurch, dass Stadler sie vom Auto aus gefilmt hat, entstehen surreale Karussell-Effekte.

Im Bauch des Klosters

Zu den Überraschungen der Ausstellung zählen die neuen textilen Arbeiten Conrad Steiners, der mit Jahrgang 1957 den etablierten Kunstschaffenden zuzurechnen ist. Mit den Fäden eines aufgetrennten Pullovers «zeichnet» er feine Strukturen an die Wand, die manchmal an Landschaften erinnern. Damit tritt er in den Dialog mit den zarten Landschaften einer Ute Klein. Die Werke der beiden sind im neuen Shed in Frauenfeld zu sehen. Solche interessante Nachbarschaften durch geschickte Hängung zu erzielen, gelingt auch im Thurgauer Kunstmuseum. Unter dem Tonnengewölbe des oberen Kellers haben die Kuratorinnen Isabelle Fehlmann und Stefanie Hoch einen idealen Ort gefunden, um die Rasterbilder Rahel Müllers, die Nachtaufnahmen Andri Stadlers und Helmut Wenczels Sternbilder vereint zu präsentieren. Letzterer zeichnet und aquarelliert auf faszinierende Weise den nächtlichen Sternenhimmel. Tief im Bauch des Klosters ein Blick ins Weltall zu werfen – ein einmaliges Erlebnis.

Spaghetti mit Heissleim

Nicht nur staunen muss man in dieser Werkschau, sondern auch schmunzeln, zum Beispiel über die seltsamen, aus Knetmasse, Ästen, Gliederketten und weiteren Materialien zusammengesetzten Objekte von Co Gründler in der Kunsthalle Arbon. Oder über die neue Videoarbeit von Olga Titus in der Galerie Adrian Bleisch, wo sie auf einem seltsamen Instrument aus Trinkröhrchen ein Liedchen spielt. Dort findet man auch die filigrane Installation von Matthias Restle, die aus Spaghetti und Heissleim zusammengesetzt ist und an einen Jahrmarkt erinnert.

Fortsetzung geplant

Nach dieser Reise zu fünf ganz unterschiedlichen, spannenden Kunsträumen gelangt man zur Überzeugung, dass man im Kanton Thurgau endlich damit aufhören sollte, das Fehlen eines zentral gelegenen Kunstmuseums zu betrauern. Im Gegenteil gilt es, die vorhandenen dezentralen Institutionen und ihre engagierten Betreiber als grosse Qualität und Ressource des Kantons zu würdigen und sie zu stärken. Ob es eine zweite Thurgauer Werkschau in derselben Form nochmals geben wird, ist offen, doch eine Fortsetzung ist auf jeden Fall geplant.

Den Kuratorinnen und Kuratoren ist es gelungen, aus den über 150 eingereichten Werken eine interessante Auswahl zu treffen und sie grösstenteils auf anregende Art und Weise zu präsentieren; einzig das Erdgeschoss der Galerie Bleisch erweist sich durch die mobilen Ausstellungselemente als wenig attraktiv. Zu empfehlen ist, es den Vernissage-Besuchern gleichzutun und sich die Zeit für eine äusserst abwechslungsreiche Tour durch den Kunst-Kanton Thurgau zu nehmen.

Werkschau TG, bis 17.11.2013. Detaillierte Informationen zu den Öffnungszeiten und zum Rahmenprogramm unter www.werkschautg.ch Grosse Finissage am 15.11.2013 im Neuen Shed in Frauenfeld mit Künstlerball und einer Performance von Max Bottini und Räto Harder.

Kreuzlingen: Blättern in den Kunstbüchern Chr. Hauris. (Bild: Caroline Minjolle)

Kreuzlingen: Blättern in den Kunstbüchern Chr. Hauris. (Bild: Caroline Minjolle)

Plastik aus geflochtenem Eisen von Markus Zeller in Arbon. (Bild: Caroline Minjolle)

Plastik aus geflochtenem Eisen von Markus Zeller in Arbon. (Bild: Caroline Minjolle)

Leporello mit Postkarten von Raoul Müller im neuen Shed. (Bild: Donato Caspari)

Leporello mit Postkarten von Raoul Müller im neuen Shed. (Bild: Donato Caspari)